Chionomys nivalis

Schneemaus (Chionomys nivalis)

Name: Chionomys nivalis (Martins, 1842); Schneemaus (D); Snow vole (E)
Internationaler Schutz: Berner Konvention (Anhang III)
Größe: Kopf-Rumpf: 85–130 mm; Hinterfuß: 18,5–21 mm; Schwanz: 50–70 mm; Gewicht: 30–50 g.
Fell: weiches, langhaariges, lockeres Fell; Rücken: hellbraun–graubraun durch schwarze Leithaare wirkt es gestrichelt; Bauch: weißgrau; Grenze zwischen Ober- und Unterseite sichtbar aber meist nicht scharf;Jungtiere besitzen ein hellgrauen Rücken, adulte Tiere einen weißen Bauch. Lange Tasthaare (Vibrissen) um die Schnauze.
Augen/Ohren: groß und gut sichtbare Ohren.
Schwanz: zweifarbig mit weißer Unterseite oder zur Gänze weiß; kräftig gebaut; geringfügig länger als die halbe Kopf-Rumpf-Länge; dient zum Balancieren beim Klettern und Springen, während des Laufens wird er meist angehoben.
Verbreitung: südwestpaläarktisch SW Europa bis zum Kaukasus, Türkei, Israel; Libanon, Syrien und Iran. Ihre Höhenverbreitung liegt meist zwischen 1.000 m und 4.700 m, wobei sie in geeigneten Habitaten auch in niederen Höhenlagen vorkommt; Österreich: Ostalpen und z.T. Nord- Zentral und Südalpen; Deutschland: Bayerische Alpen; Schweiz: Alpen und Voralpen; Mehr Info: GeoMaus-Karte.
Lebensraum: Felsspaltenbewohner von Geröllhalden, Felsschuttkegeln und Latschengebüschen (vor allem im Winter); Reviergröße: 330 m² (m) und 200 m² (w); Populationsdichte: 10 Individuen pro Hektar (Frühjahr) bis 40–90 I/ha (Herbst).
Lebenserwartung: maximal 3 Jahre; hohe Sterblichkeit im Hochwinter zwischen Dezember und Jänner.
Ähnliche Arten: als Anpassung an das Leben in Spalten charakteristisch lange (bis zu 6 cm), auffällige Vibrissen und 6 große Sohlenschwielen; aufgrund ihrer, Größe und Färbung nicht mit anderen Wühlmäusen zu verwechseln.
Sytematik: Ordnung: Nagetiere (Rodentia) → Unterordnung: Mäuseverwandte (Myomorpha) → Überfamilie: Mäuseartige (Muroidea) → Familie: Hamster- und Wühlmausartige (Cricetidae) → Unterfamilie: Wühlmäuse und Lemminge (Arvicolinae) → Gattung Schneemäuse (Chionomys)

Lebensraum

Voraussetzung für das Vorkommen von Schneemäusen ist ein felsiger Untergrund, wo sie sowohl über (häufiger) als auch unter der Waldgrenze anzutreffen ist. Innerhalb der extremen Klimabedingungen im Gebirge bevorzugt sie Standorte mit mildem Mikroklima ohne große Schwankungen von Temperatur und Luftfeuchte. Diese findet sie in den Spalten und Klüften von Felsen auf Blockfeldern, Geröllhalden, zum Teil bewaldeten Felsfluren und Felsschuttkegel am Fuß von Felsabstürzen. Die im Bodensubstrat eingebetteten Gesteinsblöcke sollten einen Durchmesser von rund 20–30 cm besitzen, um leicht zugängliche Lücken zu bilden. Ein humusreicher Boden ermöglicht es ihr, Gänge zwischen den Spalten zu graben und bereichert ihr Habitat. Innerhalb ihres Lebensraums bevorzugt sie sonnenexponierte Standorte, wo sie sich gerne auf erwärmten Felsen ausruht. In der Nestumgebung herrscht eine xerisch bis periodisch feuchte Vegetation mit einer geringen Deckung von weniger als 30–50 % vor. Häufig befinden sich Latschengebüsche, Alpenrosenbestände und andere Zwergsträucher in unmittelbarer Nähe ihres Baus, aber auch blankes Gestein kann einen Großteil der anschließenden Fläche einnehmen. Bei manchen freilebenden Populationen ist im Herbst ein Wechsel des Lebensraums von Latschen- und Geröllfeldern hin zu geeigneteren Winterhabitaten mit tiefgründigeren Böden auf früh abtauenden lawinensicheren Südhängen mit guter Wasserableitung zu beobachten. Gelegentlich nutzt sie während der kalten Jahreszeit auch unbewohnte, seltener bewohnte, Hütten.

Lebensweise

Aktivität und Fortbewegung: Schneemäuse sind besonders bei warmem Wetter aktiv. Sie verlassen auch tagsüber ihre Baue, ihre Hauptaktivitäten liegen jedoch in der Morgen- und Abenddämmerung. An regnerischen, nebligen und kühlen Tagen verlässt sie meist erst am späten Nachmittag ihr Nest und ist infolge zwischen 18 und 21 Uhr außerhalb ihres Baus anzutreffen. Lange Vibrissen, ein relativ flacher Schädel, Proportionsveränderungen von Extremitätenskelett und –muskulatur, ein langer kräftiger Schwanz sowie große Sohlenschwielen und kräftige Füße ermöglichen ihr eine rasche Fortbewegung in Felsspalten. Im Aufwärtsklettern von engen Spalten übertrifft sie sogar die in Sträuchern und Bäumen geschickt kletternde Rötelmaus (Myodes glareolus). Dies verdankt sie vor allem ihren langen, kräftigen Krallen, welche ihr einen guten Halt bieten. Auch sonst bewegen sich Schneemäuse flinker als andere Wühlmäuse. So können sie sehr schnell laufen und gut springen. Im Gegensatz zu anderen Säugetieren in ihrem Lebensraum hält sie keinen Winterschlaf, sondern ist selbst während der kalten Monate aktiv. Als Anpassung an die ungünstigen Lebensbedingungen besitzt die Schneemaus einen niedrigen Stoffwechselgrundumsatz und passt sie ihre Körpertemperatur der Umgebungstemperatur an: Beträgt diese 10°C – 20°C liegt ihre Körpertemperatur konstant bei 38,1 °C, mit sinkender Außentemperatur sinkt sie jedoch auf bis zu 32,7 °C. Der Aufwand für die Wärmeregulation ist dabei nur halb so groß wie bei der Feldmaus (Microtus arvalis) und der Rötelmaus.

Territoriales Verhalten und Reviergröße: Im Sozialverhalten der Schneemäuse dominieren weibliche Tiere das matriarchalisch geprägte System. Es leben Gruppen von rund 20 Individuen in festgelegte Territorien, welche bei adulten Männchen eine Größe von ca. 330 m² und bei Weibchen von ca. 200 m² besitzen. Während sich die Aktionsräume von weiblichen und männlichen Tieren überschneiden, sind die Reviere gleichgeschlechtlicher Artgenossen voneinander getrennt. Innerhalb ihres Streifgebietes benutzen sie Wechsel, die sie häufig frequentieren und auch von kleinen Steinen frei halten. Nach Ende der Fortpflanzungszeit lösen sich die territorialen Grenzen wieder auf und es bilden sich lose Gruppen, wobei einige Tiere, vorwiegend Männchen, infolge abwandern. Die Jungtiere bleiben bis zum ersten Winter im Territorium des Muttertieres. Weibchen zeigen sich relativ ortstreu, sodass mehrere Generationen in einem engen Umfeld leben.

Kommunikation und Orientierung: Kot und Harn werden als Duftmarkierungen verwendet. Die auffälligen Flankendrüsen spielen vermutlich in der innerartlichen Verständigung eine wichtige Rolle. Um sich in den dunklen Felsspalten orientieren zu können, verfügt sie über lange Tasthaare an der Schnauze.

Bau: Drei Viertel des Jahres verbringt die Schneemaus unter dem Schnee. Dementsprechend bedeutsam ist ihr unterirdischer Bau, welcher sommerkühl und winterwarm gestaltet ist. Die Anlage der Baue hängt vom Bodensubstrat ab: Bei reinen Fels- oder Blockhabitaten, wie in der Hohen Tatra, können die Tiere keine Gänge graben und leben ausschließlich in Spalten. In vielen Lebensräumen sind die Gesteinsblöcke jedoch von Humus umgeben und die Schneemäuse legen Tunneln an, welche die unterirdischen Schichtfugen und Klüfte verbinden. So kann sie sicher zwischen Fraß-, Kotplatz und Nestkammer wechseln. Der Eingang liegt meist direkt unter Steinen und wird während der Schneeschmelze vor eindringendem Wasser durch einen bis zu 8 cm hohen Erdwall geschützt. Bei einfließendem Wasser verlässt sie ihren Bau und gräbt einen Gang in die Schneeschicht, wobei sie ihr altes Nest in den neuen Bau einträgt. Dieses ist nach der Schneeschmelze als grasig-kugeliges Gebilde sichtbar. Das Nest wird an einem trockenen Standort aus Grashalmen angelegt. Der Umfang variiert, so genügt der Schneemaus an warmen Sommertagen eine dürftige Unterlage, während bei kalter Witterung rasch mehr Material eingebaut wird. Besonders dick werden Wurfnester und Winterkessel gestaltet. Beide stellen gleichmäßig dichte Graskugeln dar, die mit fein zerteilten Grashalmen ausgepolstert sind. Die Nesttemperatur, welche die Schneemaus mit Hilfe ihrer Körpertemperatur erzeugt, liegt konstant bei 26 °C.

Fortpflanzung und Population

Die Fortpflanzungszeit beginnt nach der Schneeschmelze und dauert von Mai bis September. 1–2 (selten 3) Mal im Jahr bringen Weibchen nach 20–22 Tagen Tragzeit 3–4 (im Herbst 1–2) Junge zur Welt. Als Anpassung an die kühle Gebirgsregion besitzen Neugeborene ein hohes Geburtsgewicht und nehmen rasch an Körpermasse zu (pro Tag bis zu einem Gramm). Da weibliche Tiere unmittelbar nach der Geburt erneut paarungsbereit sind (Post-Partum-Östrus), liegen einzelne Würfe oft nur 3–4 Wochen auseinander. Die Jungentwicklung verläuft langsamer als bei anderen Wühlmausarten und die Mutterbindung hält länger an. Dies schafft offenbar die benötigten Vorrausetzungen für den folgenden frühen Winterbeginn. Ab dem 14. Tag erkunden Jungtiere ihre Umgebung außerhalb ihres Nests. Obwohl sie ab dem 16. Tag selbstständig Nahrung zu sich nehmen, werden sie bis zum 39. Tag gesäugt. Junge Weibchen pflanzen sich noch im Geburtsjahr fort. In Gebäuden kann in Ausnahmefällen auch eine Fortpflanzung während des Winters beobachtet werden.
Die Populationsdichte variiert zwischen 10 Individuen pro Hektar im Frühling und 40 bis 90 I/ha im Herbst. Dichteschwankungen treten im Vergleich zu anderen Wühlmausarten selten auf. Das Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Tieren ist meist ausgeglichen. Mit einer geringen Anzahl an Nachkommen und einer höheren Überlebensrate entspricht ihre ökologische Fortpflanzungsstrategie nicht wie bei vielen anderen Kleinsäugern der eines r-Strategen, sondern mehr der eines k-Strategen.

Nahrung

Die Schneemaus ist ein reiner Pflanzenfresser ohne besondere Spezialisierung. Sie ernährt sich vorwiegend von Kräutern, Sauer- und Süßgräsern sowie von Zwergsträuchern, wo sie Triebe, Knollen und Samen verzehrt. Gerne leckt sie aus Blüten den Nektar und Pollen. Daneben frisst sie auch Moos und Flechten. Im Winter sucht sie unter dem Schnee nach grünen Pflanzenteilen von Preiselbeeren, Alpenlattich oder ähnlichem. Findet die Schneemaus Nahrung, trägt sie diese zum geschützten Bau. Dort können infolge häufig Halme und Blätter von Alpengräsern und – kräutern, Stängel von Himbeeren und Weideröschen, Zwiebeln und Knollen von Krokussen vorgefunden werden. Im Winter lagert sie vorwiegend Heu als Nahrungsvorrat ein. Auch in Gefangenschaft gehaltene Tiere legen Vorräte an: Stellt man zum Beispiel frische Zweige von Nadelbäumen in ihr Gehege, klettert die Schneemaus daran hoch und beginnt die Triebe abzubeißen, welche sie anschließend sorgfältig in ihr Nest einträgt.

Konkurrenz und Feinde

In ihrem Lebensraum können u. a. folgende Kleinsäugerarten häufig angetroffen werden: die Ostschermaus (Arvicola amphibius), Rötelmaus, Waldspitzmaus (Sorex araneus), Alpenspitzmaus (S. alpinus) und Waldmäuse (Apodemus).
Aufgrund ihrer Lebensweise in Felsspalten kann sie sich gut vor eine Reihe von Prädatoren schützen.Hermelin (Mustela erminea) und Mauswiesel (Mustela nivalis) folgen ihr aber gewandt durch schmale Gänge und zählen somit zu ihren größten Fressfeinden. Füchse (Vulpes vulpes), Dachse, (Meles meles), Alpendohlen (Pyrrhocorax graculus), Kolkraben (Corvus corax), Turmfalken (Falco tinnunculus), Uhu (Bubo bubo), Waldkäuze (Strix aluco), Raufußkkäuze (Aegolius funereus) und Sperlingskäuze (Glaucidium passerinum) verzehren ebenfalls gelegentlich Schneemäuse. Die Kreuzotter (Vipera berus) stellt vor allem für Nestjunge eine Gefahr dar.

Gefährdung und Schutz

Mit ihrem Verhalten Vorräte anzulegen trägt sie wesentlich zur Verbreitung einiger Pflanzenarten bei. Dies ist mitunter ein Grund, warum die Schneemaus über die Berner Konvention Anhang IV geschützt ist. Angesichts ihrer speziellen Lebensraumbedürfnisse sollte auf vorhandene Vorkommen besonders geachtet werden. Da über ihre Biologie nur wenig bekannt ist und sie in geringen Dichten lebt, sind Konflikte selten. Selbst in Hütten verursacht sie im Vergleich mit der sich stark reproduzierenden Haumaus (Mus musculus) und dem lauten Siebenschläfer (Glis glis) nur wenig Unmut.

Literatur
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  • Müller, J. P., Jenny, H., Lutz, M., Mühlethaler, E., & Briner, T. (2010): Die Säugetiere Graubündens: Eine Übersicht. Sammlung Bündner Naturmuseum und Desertina Verlag, Chur.
  • Quéré, J. P., & Le Louarn, H. (2011): Les rongeurs de France: Faunistique et biologie. Editions Quae, Versailles.
  • Spitzenberger, F. (2001): Die Säugetierfauna Österreichs. Grüne Reihe des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Band 13. Austria Medien Service, Graz.

Autoren: Dr. Christine Resch & Dr. Stefan Resch
Zitiervorschlag: Resch, C. & Resch, S. (2023): kleinsaeuger.at – Internethandbuch über Kleinsäugerarten im mitteleuropäischen Raum: Körpermerkmale, Ökologie und Verbreitung. apodemus – Institut für Wildtierbiologie, Haus im Ennstal.

kleinsaeuger.at