Crocidura suaveolens

Gartenpitzmaus (Crocidura suaveolens)

Name: Crocidura suaveolens (Pallas, 1811); Gartenspitzmaus (D); Lesser white-toothed shrew (E)
Internationaler Schutz: Berner Konvention (Anhang III)
Größe: Kopf-Rumpf: 53–64 mm; Hinterfuß: 10,5–12 mm; Schwanz: 30–37 mm; Gewicht: 4–7 g.
Fell: Rücken: grau, mit zunehmendem Alter braungrau bis braun; Bauch: hellgrau; Grenze zwischen Ober- und Unterseite fließend.
Ohren: Deutlich sichtbar aus dem Fell ragend.
Schwanz: Der Schwanz ist undeutlich zweifarbig, wobei die Oberseite meist dunkler erscheint. Am Schwanzende trägt sie abstehende, weiße Wimpernhaare.
Verbreitung: Paläarktische Region; Österreich: alle Bundesländer; Deutschland: Ostdeutschland, in den letzten Jahrzehnten Ausbreitung nach NO; Schweiz: Ostschweiz und südlich der Alpen; Mehr Info: GeoMaus-Karte. Die Höhenverbreitung reicht vom Meeresniveau bis in 1600 m, wobei sie ab 1000 m selten ist.
Lebensraum: Trockenes Kulturland mit guter Bodendeckung, meidet den geschlossenen Wald und besiedelt Feuchtlebensräume höchtens am Rand. Die Reviergröße der Männchen ist mit einer Länge von 5080 m deutlich größer als das rund 27 m lange Revier der Weibchen. Populationsdichten betragen bis zu 122 Individuen pro Hektar und sind im Sommer am höchsten.
Lebenserwartung: 1218 Monate, selten 2 Winter, hohe Jungensterblichkeit; Gefangenschaft bis zu 4 Jahre.
Ähnliche Arten: Anhand der Fellfärbung können Garten- und Hausspitzmäuse (Crocidura russula) nicht sicher voneinander unterschieden werden. Im Allgemeinen erscheint der Rücken der Gartenspitzmaus graubrauner und der Bauch hellgrauer. Zudem ist sie mit einem Gewicht von unter 7 Gramm leichter. Vor allem junge Hausspitzmäuse können mit adulten Gartenspitzmäusen verwechselt werden, sodass eine sichere Unterscheidung meist nur mit morphometrischen und genetischen Methoden möglich ist. Aber: Verbreitungsgebiete überschneiden sich kaum (Siehe: Verbreitung der Hausspitzmaus). Die Feldspitzmaus (Crocidura leucodon) kann anhand ihrer zweifarbigen Färbung mit deutlicher Grenze zwischen Ober- und Unterseite gut unterschieden werden.
Systematik: Ordnung: Spitzmausartige (Soricomorpha) → Familie: Spitzmäuse (Soricidae) → Unterfamilie: Weißzahnspitzmäuse (Crocidurinae) → Gattung: Weißzahnspitzmäuse (Crocidura)

Lebensraum

Die Gartenspitzmaus bewohnt offenes, trockenes Kulturland in niederen Lagen, wo sie warme Standorte mit guter Deckung und hohem Nahrungsangebot bevorzugt. Sie ist häufig auf Brachland, Trockenmauern, Komposthaufen und in Gewächshäuser zu finden. Wie die Hausspitzmaus ist sie häufig im Siedlungsbereich anzutreffen. Der Grad der Synanthropie (Anpassung einer Tier- oder Pflanzenart an den menschlichen Siedlungsbereich) hängt von der Temperatur ab. So wird sie in kälteren, höher gelegenen Regionen in naturnahen Hausgärten und auf Grünflächen (Parkanlagen und Sportplätze) beobachtet, während sie in heißeren Klimaten auch in siedlungsfernen Gebieten beheimatet ist. Gartenspitzmäuse bewohnen Steppenlandschaften in niederen Lagen, wo sie warme Standorte wie Steinmauern bevorzugen. In geringeren Dichten lebt sie zudem auf Wiesen, an Bachufern sowie, beim Vorhandensein trockener Refugien, auch in feuchten Lebensräumen. Vor allem vom Herbst bis zum Frühjahr besiedelt sie Feuchtbiotope, Gebüsche, Waldränder und Gebäude mit hohem Nahrungsangebot. Im Gebirge Mitteleuropas ist sie häufig nur in menschlicher Nähe zu finden. Aufgrund ihrer Häufigkeit in ruderal beeinflussten Lebensräumen (Ackerränder, Trockenmauern, Hecken, Windschutzstreifen, Gärten) gilt sie als Charaktertier der Städte und Stadtrandsiedlung. An der nordwestlichen Grenze ihres Verbreitungsgebietes lebt sie hingegen in Küstengebieten mit reicher Krautschicht oder Felsen. Allgemein scheint für ein dauerhaftes Vorkommen der Gartenspitzmaus eine gute Deckung entscheidend zu sein. Zudem ist durch ihre Häufigkeit bei bestimmten Expositionen (E-SW) und Substraten (Trockenmauern, Steinhaufen, Holzbauten) eine Präferenz zu klimatisch begünstigten Standorten erkennbar.

Lebensweise

Aktivität und Fortbewegung: Die Gartenspitzmaus gilt als tag- und nachtaktiv, wobei ihre Hauptaktivität mit 80 % in den Nachtstunden liegt. Auch wenn während des Sommers die Tagesaktivität zunimmt, ist sie insgesamt seltener am Tag anzutreffen als die Hauspitzmaus. In Gefangenschaft zeigt sie besonders hohe Aktivität in den Morgen- (45 Uhr in der Früh) und Abendstunden (1819 Uhr) (Churchfield & Tempe, 2008). Wie bei anderen Spitzmausarten wechseln sich Aktivitäts- und Ruhephasen häufig in kurzen Zeitspannen ab (short-term-activity). Dies ist aufgrund ihrer hohen Stoffwechselrate nötig, da sie alle 3050 Minuten Nahrung zu sich nehmen muss. Ihre Fortbewegung ähnelt jener der Waldspitzmaus, allerdings wirkt sie langsamer und weniger agil als diese.

Territoriales Verhalten und Reviergröße: Obwohl sie solitär lebt überlappen sich die Reviere von Gartenspitzmäusen, weshalb sie als vergleichsweise gesellige Spitzmausart gilt. Aggressivität und territoriales Verhalten tritt nur bei trächtigen und säugenden Individuen auf. In Gefangenschaft können die Tiere in Gruppen gehalten werden, wobei sich deutliche Dominanzstrukturen zeigen: Männliche dominieren weibliche und ältere behaupten sich gegenüber jüngeren Individuen. Zudem ist das Revier der Männchen mit 5080 m, größer als das durchschnittlich 27 m lange Revier der Weibchen. Jungtiere besitzen häufig noch kein festgelegtes Territorium, sondern wechseln ihre Aktivitätszentren.

Kommunikation: Die Gartenspitzmaus verständigt sich akustisch, taktil und mit Hilfe von Duftmarkierungen. Akustische Signale dienen in erster Linie der Kommunikation benachbarter Individuen, können aber die ganze Gruppe betreffen. So reagieren auch weit entfernte Tiere auf Angstrufe. Langgezogene tonale Laute um 20 kHz können vor allem während der Paarung vernommen werden. Im Gegensatz zu anderen Spitzmausarten benutzt die Gartenspitzmaus vermutlich keine Echopeilung, kann aber auch im Ultraschall Bereich kommunizieren. Bei der Nahrungssuche und Erkundung von unbekannten Gebieten äußert sie zwitschernde Laute. Wie die Waldspitzmaus ist sie weniger auf ihren Sehsinn, welcher vorwiegend zur Wahrnehmung der Lichtintensität im Tages- und Jahreszyklus dient, als auf ihren ausgezeichneten Geruchssinn angewiesen. Duftmarkierungen spielen eine wesentliche Rolle in ihrem Zusammenleben und informieren über die Anwesenheit und den physiologischen Zustand von Artgenossen. Sie werden verwendet um Individuen zu vertreiben oder mit ihnen in Kontakt zu treten. Adulte Tiere setzen Markierungen indem sie die Duftdrüsen der Flanken und des Analbereichs (vermutlich Sekret der Lateral- Proktodaeal- oder Analdrüse) mit seitwärts gestreckten Hinterbeinen an der Unterlage reiben. An höheren Stellen setzt sie Duftmarkierungen mit ihrem Kinn. Werden Gartenspitzmäuse gestört oder fühlen sie sich bedroht, nehmen sie eine gebückte Körperhaltung ein, heben ihre Köpfe, fletschen mit den Zähnen und äußern ein metallisches Quietschen.

Bau: Die Gartenspitzmaus kann zwar graben, bevorzugt aber die Nutzung anderer Kleinsäugerbaue oder lebt in losen Tunneln in der Streuschicht. Ihr Nest besteht aus Gräsern und Zweigen und liegt unter schutzbietenden Strukturen wie Totholz oder Steinen. Das kugelförmige Nest besitzt in der Regel eine dünne, hölzerne Decke und weist eine Kammer mit mehreren Ausgängen auf. Ihre Wurfnester sind mit zusätzlichem Laub und Moos besser isoliert. Bei Kälte werden zudem die Eingänge verschlossen.

Fortpflanzung und Population

Die Fortpflanzung der Gartenspitzmaus ähnelt jener der Hausspitzmaus. Bei milden Wintern vermehrt sie sich ganzjährig. Ansonsten beschränkt sich ihre Fortpflanzungszeit von März/April bis September/Oktober. Sexuell aktive Weibchen verhalten sich aggressiv gegenüber gleichgeschlechtlichen Artgenossen. Es wird vermutet, dass sie so versucht ihren Jungen nach der Geburt einen geeigneten Platz mit ausreichenden Ressourcen zu erkämpfen. In Israel konnte wie bei der Hausspitzmaus zur Fortpflanzungszeit die Bildung von Paaren beobachtet werden. 13 mal im Jahr kommen nach 2627 Tagen 26 Jungtiere zur Welt. Bei Würfen mit mehr als 5 Tieren und ungünstigen Bedingungen beißt das Muttertier einige ihrer Jungen tot, um dadurch den verbliebenen ein Überleben zu ermöglichen. Bis zum 8. Tag transportiert sie ihren Nachwuchs im Maul, danach bilden sich sogenannte „Karawanen“. Wie bei der Haus- und Feldspitzmaus (Crocidura leucodon) verbeißen sich dabei die Jungtiere in das Fell an der Schwanzbasis des vorangehenden Tieres, sodass eine Marschreihe entsteht, welche von der Mutter angeführt wird. Nach 17 Tagen verlassen sie ihr Nest selbständig und wenige Tage später jagen sie bereits ihre eigene Beute und sind entwöhnt. Gartenspitzmäuse, welche vor Juli geboren werden, beteiligen sich gelegentlich noch im selben Sommer an der Fortpflanzung.
In Tschechien wurde eine Populationsdichte von 0,15 Inidviduen pro Hektar gemessen. Auf der Insel Scilly in Großbritannien schwankte diese zwischen 8 und 370 (Rey 2007). Hohe Populationsdichten, wie sie in Sommermonaten vorkommen, werden allgemein auf 122 Individuen pro Hektar geschätzt (Churchfield & Tempe, 2008). Das Verhältnis von weiblichen zu männlichen Tieren beträgt 1:1.

Nahrung

Wie alle Spitzmäuse ernährt sich die Gartenspitzmaus überwiegend von tierischer Nahrung. Im Vergleich mit den Rotzahnspitzmäusen (Sorex) ist ihr Stoffwechsel energetisch effizienter und gleicht mehr jenem von Wasserspitzmäusen (Neomys). Sie verzehrt pro Tag 55 % ihres Körpergewichts bzw. 4,28,0 kJ/g. In Gefangenschaft zeigen sich die Tiere vergleichsweise gefräßig und verzehren bis zu 109 % ihres eigenen Gewichts bzw. 4,37 Gramm Insekten pro Tag. Bevorzugt jagt sie weiche Nahrungstiere mit weniger als 1 cm Körpergröße. Im Allgemeinen ernährt sie sich von Käfern, Fliegen, Insektenlarven, Hundert- und Tausendfüßern, Regenwürmern, Spinnen, Milben sowie Schnecken. In Küstengebieten frisst sie auch kleine Krebse wie den Flohkrebs [1]. Gelegentlich können die Tötung und der Verzehr von Nestlingen der Feldmaus (Microtus arvalis) beobachtet werden. Als Anpassung an das Leben in trockeneren Lebensräumen ist ihr Wasserbedarf mit 0,2 Gramm pro Tag im Vergleich mit der Waldspitzmaus mit 2,3 g/T deutlich geringer.

Konkurrenz und Feinde

Bei gleichzeitigem Vorkommen mit der Hausspitzmaus findet eine Nischentrennung statt, wobei sich diese aufgrund ihrer höheren ökologischen Flexibilität als anpassungsfähiger erweist. Das Verbreitungsgebiet der Arten überschneidet sich jedoch kaum (siehe: Verbreitung).
Vor allem für Eulen (Steinkäuze Athene, Strix, Ohreulen Asio, Schleiereulen Tyto), Milane (Milvus) und Bussarde (Buteo) sind Gartenspitzmäuse eine wichtige Nahrungsquelle. Am häufigsten wird sie von der Schleiereule (Tyto alba) erbeutet. So beträgt der Anteil an Gartenspitzmäusen in ihrer Nahrung je nach Populationsdichte der Spitzmausart zwischen 1 % (Deutschland), 3,5 % (Tschechoslowakei), 8 % (Ungarn), 12 % (Ukraine) und 29 % (Griechenland). Von anderen Vögeln (Greifvögel, Würgern, Elster Pica pica), Steppenreptilien und Säugetieren (Füchse Vulpes, Iltisse Putorius, Marder Martes, Wiesel Mustela und Marderhunde Nyctereutes) wird sie vergleichsweise selten gefressen.

Literatur
  • Churchfield, S., & Temple, R. K. (2008): Lesser white-toothed shrew (Crocidura suaveolens). In: Mammals of the British Isles  (Hrsg.: S. Harris & D. W. Yalden). 276-280. The Mammal Society, Southampton.
  • Grimmberger, E. (2014): Die Säugetiere Deutschlands. Quelle & Meyer, Wiebelsheim.
  • Jenrich, J., Löhr, P.-W., & Müller, F. (2010): Kleinsäuger: Körper- und Schädelmerkmale, Ökologie. Beiträge zur Naturkunde in Osthessen (Hrsg. Verein für Naturkunde in Osthessen e.V.). Michael Imhof Verlag, Fulda.
  • Kraft, R. (2008): Mäuse und Spitzmäuse in Bayern: Verbreitung, Lebensraum, Bestandssituation. Ulmer Verlag, Stuttgart.
  • Lugon-Moulin, N. (2003): Les musaraignes: Biologie, écologie, répartition en Suisse. Porte-Plumes Verlag, Ayer.
  • Müller, J. P., Jenny, H., Lutz, M., Mühlethaler, E., & Briner, T. (2010): Die Säugetiere Graubündens: Eine Übersicht. Sammlung Bündner Naturmuseum und Desertina Verlag, Chur.
  • Vlasák, P., & Niethammer, J. (1990): Crocidura suaveolens (Pallas, 1811) – Gartenspitzmaus. In: Handbuch der Säugetiere Europas: Insektenfresser, Herrentiere  (Hrsg.: J. Niethammer & F. Krapp). Band 3/1 397-428. Aula Verlag, Wiesbaden.
  • Spitzenberger, F. (2001): Die Säugetierfauna Österreichs. Grüne Reihe des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Band 13. Austria Medien Service, Graz.
  • Mitchell-Jones, A. J., Amori, G., Bogdanowicz, W., Kryštufek, B., Reijnder, P. J. H., Spitzenberger, F., Stubbe, M., Thiessen, J. B. M., Vohralik, V., & Zima, J. (1999): The atlas of European Mammal. Academic Press, London.
  • Genoud, M. (1995): Crocidura suaveolens (Pallas, 1811). In: Die Säugetiere der Schweiz: Verbreitung, Biologie und Ökologie  (Hrsg.: J. Hausser). 54-57. Birkäuser Verlag, Basel.
  • Rey, M. J. (2007): Crocidura suaveolens (Pallas, 1811). In: Atlas y Libro Rojo de los Mamíferos Terrestres de España  (Hrsg.: L. J. Palomo, J. Gisbert & J. C. Blanco). 125-127. Dirección General para la Biodiversidad-SECEM-SECEMU, Madrid.
  • Spitzenberger, F. (1985): Die Weißzahnspitzmäuse (Crocidurinae) Österreichs, Mammalia austriaca 8 (Mammalia, Insectivora). Mitteilungen der Abteilung für Zoologie am Landesmuseum Joanneum, 35, 1-40.

Autoren: Dr. Christine Resch & Dr. Stefan Resch
Zitiervorschlag: Resch, C. & Resch, S. (2024): kleinsaeuger.at – Internethandbuch über Kleinsäugerarten im mitteleuropäischen Raum: Körpermerkmale, Ökologie und Verbreitung. apodemus – Institut für Wildtierbiologie, Haus im Ennstal.