Microtus oeconomus

Sumpfmaus (Microtus oeconomus)

Name: Microtus oeconomus (Pallas, 1776); Sumpfmaus, Nordische Wühlmaus (D); Tundra vole (E)
Internationaler Schutz: Berner Konvention (Anhang III), M. o. arenicola und M. o.mehelyi Berner Konvention (Anhang I) und FFH- Richtlinie (Anhang II und IV)
Größe: Kopf-Rumpf: 80–135 mm; Hinterfuß: 17–22 mm; Schwanz: 40–65 mm; Gewicht: 20–80 g
Fell: schwarzbrauner bis dunkelgraubrauner Rücken, gelegentlich mit dunkler Rückenmitte, Grenze zwischen Ober-/Unterseite fließend mit helleren Flanken, Bauchunterseite hellgrau.
Augen/Ohren: Ohren sind im Fell verborgen, aber sichtbar, Ohrinnenrand kurz behaart.
Schwanz: Länge entspricht rund die Hälfte der Körperlänge (45–65 %), er ist zweifarbig mit brauner Ober- und weißgrauer Unterseite.
Verbreitung: Holarktische Verbreitung von Alaska bis Nordasien. In Europa reicht ihre Verbreitung von Fennoskandinavien und Norddeutschland über Polen, Weißrußland nach Nord- und Zentralrussland, daneben isolierte Reliktvorkommen in den Niederlanden, Norwegen, Schweden, Österreich, Slowakei und Ungarn. Österreich: Neusiedler Seegebiet (Seewinkel,  Waasen/Hanság); Deutschland: NO-Deutschland; Mehr Info: GeoMaus-Karte. Ihre Höhenverbreitung erstreckt sich bis 2.500 m, wobei sie meist tiefe Lagen bewohnt.
Lebensraum: Feuchte bis nasse Wiesen mit dichtem Pflanzenbewuchs; Reviergröße in Abhängigkeit von Lebensraumbeschaffenheit, Populationsdichte und Jahrszeit bei Männchen bis zu 3.900 m² (im Durchschnitt 804 m²) und bei Weibchen 377 m²; im Sommer Populationsdichten von über 120 Individuen pro Hektar.
Lebenserwartung: In Gefangenschaft bis zu 2 Jahre, im Freiland meist 17 Monate.
Ähnliche Arten: Die Sumpfmaus sieht äußerlich der Feldmaus (Microtus arvalis) ähnlich, diese ist jedoch meist kleiner und heller gefärbt. Auch die Erdmaus (M. agrestis) ähnelt ihr. Als gutes Unterscheidungsmerkmal gilt der längere Schwanz  (> 45 %) und die kurze Behaarung des inneren Ohrrandes der Sumpfmaus. Die Sumpfmaus ist zudem in ihrer europäischen Verbreitung auf Nord- und Osteuropa beschränkt.
Sytematik: Ordnung: Nagetiere (Rodentia) → Unterordnung: Mäuseverwandte (Myomorpha) → Überfamilie: Mäuseartige (Muroirdea) → Familie: Hamster- und Wühlmausartige (Cricetidae) → Unterfamilie: Wühlmäuse und Lemminge (Arvicolinae) → Gattung Feldmäuse (Microtus) → Untergattung (Alexandromys)

Lebensraum

Die Sumpfmaus bevorzugt feuchte bis nasse Lebensräume mit dichtem Pflanzenbewuchs. Hohe Populationsdichten erreicht sie in Feucht- und Sumpfwiesen mit Erlen- und Weidengebüschen aber auch Bruchwälder, Moore, Großseggenriede, Sölle (feuchte Senken), Schilfgürtel von Seen und Fließgewässer werden von ihr besiedelt. Damit ihr Hochwasserereignisse nicht zum Verhängnis werden, wandert sie im Spätsommer (August/September) in geeignete, trockene Winterhabitate ab. Meist handelt es sich dabei um an Feuchtwiesen anschließende Felder. Die Rückwanderung erfolgt im Frühjahr mit einsetzender Sommerhitze. Innerhalb ihres nördlichen Verbreitungsgebietes lebt die Sumpfmaus auch synanthrop und ist nicht selten auf Bauerhöfen anzutreffen.

Lebensweise

Aktivität und Fortbewegung: Die Sumpfmaus besitzt einen polyphasischen Aktivitätszyklus mit 7 bis 10Phasen erhöhter Aktivität innerhalb von 24 Stunden. Zusätzlich kann beobachtet werden, dass sie vor allem während der Dämmerung aktiv ist. Je nach Literatur wird ihr zudem eine vermehrte Nacht- oder Tagaktivität zugesprochen. Die unterschiedlichen Angaben können vermutlich mit ihrem großen Verbreitungsgebiet erklärt werden. Im Gegensatz zu anderen Kleinsäugern hält sie während der kalten Jahreszeit keinen Winterschlaf und fällt auch nicht in einen Lethargiezustand (Torpor). Die Sumpfmaus kann als Anpassung an ihren Lebensraum ausgezeichnet schwimmen und tauchen.

Territoriales Verhalten und Revier: Sie lebt sowohl als Einzelgänger als auch in kleinen Kolonien mit hierarchisch gegliederten Systemen. Ein aggressives Verhalten kann vor allem bei einer hohen Populationsdichte und zur Fortpflanzungszeit beobachtet werden. Der Aktionsradius der Männchen ist mit 12.000 m² besonders groß. Innerhalb eines männlichen Reviers liegen mehrere weibliche Territorien. Die Reviergröße hängt von der Lebensraumbeschaffenheit, der Populationsdichte und Jahreszeit ab und beträgt bei Männchen bis zu 3.900 m² (im Durchschnitt 804 m²) und bei Weibchen bis zu 377 m². Weiblichen sind standorttreuer und teilen ihr Revier mit ihren Artgenossen [1].

Kommunikation und Orientierung: Der gut entwickelte Geruchsinn spielt bei der innerartlichen Kommunikation eine entscheidende Rolle. So kann die Sumpfmaus nicht nur zwischen Familienmitgliedern und fremden Tieren unterscheiden, sondern erhält Informationen zu Alter, Geschlecht, Reproduktionszustand, Gesundheit und Sozialstatus ihrer Artgenossen. Der charakteristische Geruch wird durch Duftdrüsen abgesondert, wobei Männchen und ältere Tiere über größere verfügen als Weibchen.Darüberhinaus werden Kotmarkierungen bei Verzweigungen im Gangsystem sowie zum Teil beim Baueingang angebracht. Als Lautäußerungen können ein kräftiges Ziepsen als Ausdruck des Verlassenseins bei Jungtieren, einzelne oder aneinandergereihte »Tschätt« Laute als Drohrufe sowie Unterwerfungslaute bei Auseinandersetzungen wahrgenommen werden.

Bau: Da sie häufig Lebensräume mit hohem Grundwasserstand besiedelt, befinden sich ihre Nester und Laufwege überwiegend oberirdisch unter Schilf- und Heuhaufen, wo sie sich fast ausschließlich entlang vorgefertigter Pfade bewegt. Wenn es ihr möglich ist, gräbt sie bevorzugt Gänge unter der Erde. Ihre kugelrunden Grasnester besitzen in Regel 2 Zugänge. Winternester und Nester im Freien sind durch dicke Wände besser isoliert als unterirdische Nester. Besonders kompakt und sorgfältig werden Wurfnester gebaut.

Fortpflanzung und Population

In Abhängigkeit vom Lebensraum, der Jahreszeit und der Populationsdichte variiert das Paarungsverhalten der Sumpfmaus. So können in Monogamie, Polygynie (ein Männchen paart sich mit mehreren Weibchen) und Polygamie (Weibchen und Männchen paaren sich mit verschiedenen Partnern) lebende Populationen beobachtet werden. Das vorherrschende System wird jeweils von den Jungtieren adoptiert. Um den Nachwuchs kümmert sich das Männchen nur selten. In der Regel ist das Weibchen für Nestbau sowie Schutz und Fürsorge für die Jungtiere verantwortlich. Die Fortpflanzungszeit der Sumpfmaus dauert von April bis September. Wintervermehrung tritt nur im Einzelfall und nur nach langen und warmen Sommern auf. Die ersten Jungtiere kommen im April/Mai im Winterbiotop zur Welt. Nach einer Tragzeit von 20–23 Tagen werden zwischen 4–8 Junge geboren. Die Nachkommenanzahl variiert innerhalb ihres Verbreitungsgebietes, wobei diese bei den größeren Weibchen im Norden tendenziell höher ist. Das Muttertier kümmert sich intensiv um ihren Nachwuchs. So wird dieser regelmäßig geputzt und auch das Nest wird sauber gehalten, indem die Mutter den Kot der Jungtiere aufnimmt. Nach 9–10 Tagen öffnen diese die Augen. Wenn die Tiere beginnen ihre Umgebung zu erkunden, achtet die gesamte Sippe auf den Nachwuchs und trägt diesen wieder ins Nest zurück. Dies ist nur bis zu einem Alter von 20 Tagen möglich, da die Tiere danach nicht mehr in eine Tragstarre fallen. Bei Störungen im Nestbereich beginnt das Weibchen mit dem Bau eines Ausweichnestes oder nutzt das Nest eines Männchens, welches dieses widerstandslos zur Verfügung stellt. Ab dem 13. Tag nehmen die Jungen selbständig Nahrung zu sich. Die Entwöhnung erfolgt erst im Alter von 21 Tagen. Weibchen sind zwar unmittelbar nach der Geburt ihrer Jungen wieder empfangsbereit, durchschnittlich liegen jedoch 7 Wochen zwischen 2 Würfen. Ein Weibchen bringt im Jahr 3–4 Mal Junge zur Welt. Jungtiere aus den ersten beiden Würfen beteiligen sich noch im selben Jahr an der Fortpflanzung.Während Weibchen bereits ab einem Alter von 20 Tagen geschlechtsreif sind, können sich Männchen erst mit einem Alter von 6–8 Wochen vermehren.
Die Populationsdichte ist im Frühjahr gering, steigt aber im Sommer auf 123 I/ha (Norwegen) bzw. 130 I/ha (Polen) an. Bei hoher Populationsdichte sind weniger Weibchen fortpflanzungsfähig und mit steigendem Stress nehmen die Anzahl der Würfe und die Wurfgrößen ab. Da zugleich die Säuglingssterblichkeit zunimmt, sinkt die Anzahl der Individuen kontinuierlich. Innerhalb einer Population überwiegt mit rund 57 % die Anzahl der Weibchen. Zyklische Schwankungen im Abstand von 3-5 Jahren können vor allem im Norden ihres Verbreitungsgebietes beobachtet werden.

Nahrung

Die Sumpfmaus ernährt sich vorwiegend vegetarisch von Gräsern, Wurzeln und Rinden. Besonders gerne frisst sie Wollgras, Seggen, Schilf, Rohrkolben, Schachtelhalm und Pfeifengras. Im Sommer verzehrt sie hauptsächlich grüne Pflanzenteile und Früchte. Im Winter, wenn die Schneedecke die oberirdische Nahrungssuche erschwert, stellen Wurzeln und Sprosse eine wichtige Nahrungsquelle dar. Tierische Kost nimmt sie in Form von Insekten zu sich. Sie legt keine Vorräte an.

Konkurrenz und Feinde

Sumpfmaus und Erdmaus bevorzugen die gleichen Lebensräume. Bei gleichzeitigem Vorkommen wandert die Erdmaus meist ab und ist auf angrenzenden bewaldeten Flächen zu finden. Bei einer hohen Populationsdichte kann sie auch die an trockenere Habitate angepasste Feldmaus verdrängen, meist unterliegt sie dieser jedoch. Die drei Arten besitzen zum Teil unterschiedliche Verbreitungsgebiete, sodass eine direkte Konkurrenz nicht immer gegeben ist. Die Sumpfmaus meidet Lebensräume mit Vorkommen von Schermaus oder Bisam.
Zu ihren Fressfeinden zählen vor allem Schleiereule (Tyto alba), Wald- (Strix aluco) und Habichtskauz (S. uralensis), Waldohreule (Asio otus), Sumpfohreule (A. flammeus), Raufußbussard (Buteo lagopus), Fuchs (Vulpes vulpes) und Marder (Martes).

Gefährdung und Schutz

Die Sumpfmaus verliert mit zunehmender Absenkung des Grundwasserspiegels infolge von Meliorationen und Wasserbaumaßnahmen sowie der stetigen Trockenlegung von Feuchtgebieten an Lebensraum. Sie reagiert zudem auf kleine Habitateingriffe wie zum Beispiel Mäharbeiten sensibel und weicht in ungünstigere Habitate aus, wo sie der Feldmaus oder der Rötelmaus (Myodes glareolus) unterliegt. Innerhalb der letzten Jahrzehnte konnte beobachtet werden, dass isolierte Reliktvorkommen schwinden. Die Erhaltung von Moorlandschaften und Sumpfgebieten sowie feuchten Wiesen als Lebensräume ist daher dringend notwendig. Eine erfolgreiche Wiederansiedelung fand im Hasetal (Emsland, Deutschland) statt.
Die Sumpfmaus ist nach der Berner Konvention (Anhang III) geschützt und wird in vielen nationalen Roten Listen geführt. So gilt die Art in Deutschland als stark gefährdet und in Österreich als gefährdet. Zwei Unterarten der Sumpfmaus sind zudem in der FFH-Richtline (Anhang II und IV) der EU und nach der Berner Konvention (Anhang I) geschützt: Die in den Niederlanden verbreitete Microtus oeconomus arenicola (de Sélys-Longchamps, 1839) und das Reliktvorkommen von Microtus oeconomus mehelyi (Ehik, 1928)  in Österreich, Ungarn und der Slowakei.

Literatur
  • Bieberich, C. (2007): Microtus oeconomus Tundra vole. Animal Diversity Web. University of Michigan, Michigan.
  • Grimmberger, E. (2014): Die Säugetiere Deutschlands. Quelle & Meyer, Wiebelsheim.
  • Jenrich, J., Löhr, P.-W., & Müller, F. (2010): Kleinsäuger: Körper- und Schädelmerkmale, Ökologie Reihe: Beiträge zur Naturkunde in Osthessen (Hrsg. Verein für Naturkunde in Osthessen e.V.). Michael Imhof Verlag, Fulda.
  • Mitchell-Jones, A. J., Amori, G., Bogdanowicz, W., Kryštufek, B., Reijnder, P. J. H., Spitzenberger, F., Stubbe, M., Thiessen, J. B. M., Vohralik, V., & Zima, J. (1999): The atlas of European Mammal. Academic Press, London.
  • Spitzenberger, F. (2001): Die Säugetierfauna Österreichs. Grüne Reihe des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Band 13. Austria Medien Service, Graz.
  • Tast, J. (1982): Microtus oeconomus (Pallas, 1776) – Nordische Wühlmaus, Sumpfmaus.  In: Handbuch der Säugetiere Europas: Nagetiere II, S.347-396. Hrsg.: J. Niethammer & F. Krapp, S. Aula Verlag, Wiesbaden.

Autoren: Dr. Christine Resch & Dr. Stefan Resch
Zitiervorschlag: Resch, C. & Resch, S. (2023): kleinsaeuger.at – Internethandbuch über Kleinsäugerarten im mitteleuropäischen Raum: Körpermerkmale, Ökologie und Verbreitung. apodemus – Institut für Wildtierbiologie, Haus im Ennstal.