Rattus rattus

Hausratte (Rattus rattus)

Name: Rattus Rattus (Linnaeus, 1758); Hausratte (D); Black Rat, Ship rat, Roof Rat (E)
Internationaler Schutz: international nicht geschütztGröße: Kopf-Rumpf: 170–220 mm; Hinterfuß: 33–37 mm; Schwanz: 180–230 mm; Gewicht: 160–210 g
Fell: meist schwarz bis dunkelschiefergrau (rattus-Typ), weitere Färbungen: graubrauner Rücken mit hell-bis mittelgrauem Bauch (alexandrinus-Typ) mit unscharfer Grenze zwischen Ober- und Unterseite oder mit weiß bis weißgrauem Bauch und scharfer Grenze (frugivorus-Typ)
Augen/Ohren: große Augen und Ohren: das Ohr reicht nach vorne umgelegt bis über die Augenmitte
Schwanz: einfarbig, rund und nackt mit Schuppenringen, im Gegensatz zur Wanderratte wird er gehoben getragen und hinterlässt keine Schleifspur.
Lebensraum: Gebäude (Schweinemastanlagen, Lagerhallen und Speicher); frei lebende Populationen der Mittelmeerregion in fast allen vegetationsreichen Lebensräumen.
Verbreitung: Herkunftsland: Südost Asien; Heute: weltweit mit Verbreitungsschwerpunkt in den Subtropen und Tropen Asiens und Afrikas; Österreich: Südlich des Alpenhauptkammes bis ins Burgenland und Niederösterreich; Deutschland: nur in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt häufig, sonst inselartig und in Bayern fehlend; Mehr Info: GeoMaus-Karte. Ihre Höhenverbreitung erstreckt sich von Meeresniveau bis 1.000 m mit besonders häufigen Vorkommen in der submontanen Höhenstufe.
Lebenserwartung: im Freiland selten älter als 18 Monate, in Gefangenschaft bis zu 4 Jahre.
Ähnliche Arten: Da Ratten viel größer und kräftiger gebaut sind als andere langschwänzige Mäuse (Echte Mäuse und Ratten) sind sie leicht zu erkennen. Schwierig ist die Unterscheidung von der Wanderratte (Rattus norvegicus): Diese ist jedoch meist schwerer und besitzt einen gedrungenen Körperbau, kleinere Augen und Ohren, einen kürzeren Schwanz und eine stumpfe Schnauze. Da bei beiden Arten die Färbung variiert ist die Fellfarbe alleine kein sicheres Unterscheidungsmerkmal.
Systematik: Ordnung: Nagetiere (Rodentia) → Unterordnung: Mäuseverwandte (Myomorpha) → Überfamilie: Mäuseartige (Muroirdea) → Familie: Ratten- und Mäuseartige (Muridae) →  Unterfamilie: Echte Mäuse und Ratten (Murinae) → Gattung: Echte Ratten (Rattus)

Rattenflöhe und die Pest im 14. Jahrhundert

Mitte des 14. Jh.s erlagen rund 1/3 der europäischen Bevölkerung dem „Schwarzen Tod“. Der Erreger Yersinia pestis gelangte mit den Flöhen der Ratten über die Seidenstraße nach Europa. Bislang wurde angenommen, dass sich die Krankheit auch innerhalb Europas hauptsächlich über Ratten und deren Flöhe verbreitete. Die damalige Epidemie verlief jedoch anders als neuere, eindeutig mit Rattenflöhen in Zusammenhang stehende Ausbrüche. So stiegen beispielsweise die Fallzahlen deutlich schneller an und auch die Übertragung innerhalb der Haushalte war sehr hoch. In neuen Modellberechnungen konnte gezeigt werden, dass die starke damalige Ausbreitung nicht auf Ratten, sondern hauptsächlich auf die Übertragung von Mensch zu Mensch über menschliche Ektoparasiten, wie Körperläuse und Flöhe zurückgeht (Dean et al. 2018). Enger Wohnraum und fehlende Hygiene begünstigten dabei den Sprung der von Wirt zu Wirt. Die Hausratte und ihre Flöhe waren demnach, zumindest an den verheerenden Ausbrüchen im 14. Jh., weitgehend unschuldig.

Lebensraum

In ihren Herkunftsländern in Südasien lebt die Hausratte in den Wäldern der Subtropen und Tropen, wo sie als geschickte Kletterin vorwiegend über dem Boden in der Strauch- und Baumschicht anzutreffen ist. Mit beginnendem Handel im Frühen Mittelalter kamen die ersten Tiere als »Schiffsratten« nach Mitteleuropa, wo sie in trockenen menschlichen Behausungen dem vergleichsweise kühlen Klima trotzen. Als wärmeliebende Art ist sie nur wenig anpassungsfähig und, da sie im Gegensatz zur Wanderratte (Rattus norvegicus) wenig zu einer unterirdischen Lebensweise neigt, in ihrem nördlichen Verbreitungsareal an wettergeschützte Gebäude gebunden. Im Freien lebende Populationen sind in Europa daher selten und nur in den Regionen des Mittelmeers zu finden. Hier ist sie in fast jeden Lebensraum mit ausreichender Vegetation anzutreffen, wobei Buschland, Wald, Obstgärten, Gärten und nicht zu kalte Laubwälder bevorzugt werden. Sie bewohnt zwar ebenfalls Siedlungen, diese kommensale Lebensform ist hier jedoch vergleichsweise schwach ausgeprägt. Innerhalb menschlicher Behausungen bewohnt sie, vermutlich in Anlehnung zu ihrem ursprünglichen Habitat, die oberen Stockwerke. So war sie früher als sogenannte »Dachratte« häufig in Strohdächern anzutreffen. Große Populationen kommen heute gelegentlich noch in Schweinemastanlagen, Lagerhallen und Speichern vor. Dies gilt insbesondere, wenn sich diese in der Nähe von Schiffshäfen befinden. In ihrem Lebensraum ist sie nur wenig an frisches Wasser angewiesen. Eine Eigenschaft, die der Hausratte nicht nur in den trockenen Dachböden nützlich ist, sondern ihr auch bei den langen Schiffsreisen zwischen den Kontinenten zugutekam.

Lebensweise

Aktivität und Fortbewegung: Die Hausratte besitzt einen zweiphasigen Tagesrhythmus, bei welchem die Hauptaktivitäten bei Sonnenuntergang und kurz vor Sonnenaufgang liegen. Jungtiere können darüber hinaus auch am Tag außerhalb ihres Baues angetroffen werden. Ansonsten verbringen die scheuen Tiere die meiste Zeit in ihrem Versteck. Da sie in ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet auf Bäumen lebt, ist sie eine hervorragende Kletterin und flieht bei Gefahr stets nach oben. Sie kann zudem ausgezeichnet springen und schwimmen. Im Gegensatz zur Wanderratte heben Hausratten beim Laufen ihren Schwanz an. Eine Eigenschaft die oft hilft die beiden Arten anhand von Spuren sicher zu unterscheiden.

Territoriales Verhalten und Revier: Hausratten leben in Rudeln von 20 bis 60 Individuen wobei die Größe von der Lebensraumeignung abhängt und meist bei 20 Tieren liegt.  Rudelfremde Artgenossen werden selbst außerhalb des eigenen Reviers verfolgt. Enger Körperkontakt wird auch innerhalb des Rudells vermieden – wie wichtig dies ist, zeigen sogenannte »Rattenkönige«. Bei dieser Besonderheit handelt es sich um eine Gruppe verstorbener Tiere (zwischen 6–32), deren Schwänze miteinander verknotet sind. Es wird vermutet, dass sich die Tiere ein gemeinsames Nest teilten und dabei ihre Schwänze ineinander legten, welche sich in Folge festzogen und unlösbar miteinander verbanden.

Kommunikation und Orientierung: Bevor eine Gruppe von Hausratten den Bau verlässt, hält die sogenannte Pionierratte über einen Zeitraum von rund einer halben Stunde nach Gefahren Ausschau. Sind keine Bedrohungen erkennbar, folgen ihr die scheuen Tiere aus dem Versteck. Wegmarkierungen aus Urin bilden ein ausgedehntes Netz, welches Fraß-, Trink- und Nestplatz miteinander verbindet. In Gebäuden befinden sich diese Laufwege meist entlang von Wänden und Dachbalken. Über die Jahre entstehen leicht klebrige Markierungspolster. Neben den Duftspuren dienen ihr lange Tasthaare zur Orientierung.

Bau: Im Gegensatz zur Wanderratte legt die Hausratte bei uns keine Erdbaue, sondern nutzt oberirdisch gelegene Versteckmöglichkeiten. Ihr Nest findet sich häufig in Dachbalken, welchen sie zu diesem Zweck kesselartig aushöhlt. Gelegentlich legt sie dieses auch in Hohlböden oder in ungenutzten Möbeln und anderen Gegenständen an. Es besteht fast immer aus Materialien der Umgebung wie Papier, Holzwolle oder Stoffstücken. Freilebende Populationen im Mittelmeergebiet bauen ihre Nester in Baumhöhlen und Gebüschen in 2–5 Meter Höhe. Ein Nest wurde sogar in 60 m Höhe in einem Eukalyptusbaums gefunden. Freistehende Nester sind meist rund mit nur einer Öffnung und liegen gut geschützt zwischen den Zweigen. Baue werden nur an der Basis von Bäumen gegraben deren Wurzeln einen guten Schutz bieten. Im Freien verwendet sie Blätter, Ranken und Zweige sowie im Inneren Gräser als Nestmaterial. In der Regel teilen sich Hausratten Nester nur zur Jungenaufzucht oder während der kalten Jahreszeit. Diese Gemeinschaftsnester sind meist größer und häufig können mehrere Würfe unterschiedlichen Alters darin vorgefunden werden.

Fortpflanzung und Population

Bei freilebenden Hausratten der Mittelmeerregion gibt es einen deutlichen saisonalen Reproduktionszyklus. So sind in den Wintermonaten nur wenige Männchen sexuell aktiv. Die Fortpflanzungsaktivität der Weibchen endet im Oktober und beginnt erst wieder mit zunehmender Tageslänge im Februar. In einigen Gebieten kann zusätzlich eine Sommerruhe beobachtet werden. In städtischer Umgebung erfolgt bei guter Nahrungsverfügbarkeit häufig eine ganzjährige Fortpflanzung. Nach einer Tragzeit von 3 Wochen werden 2–13 Jungtiere geboren, wobei die Wurfgröße mit dem Alter des Weibchens steigt und meist zwischen 5–10 Jungen liegt. Nach 14–16 Tagen öffnen die Jungtiere ihre Augen und beginnen die nähere Umgebung ihres Nests zu erkunden. So setzten sie Kot und Urin außerhalb ihres Schlafplatzes ab oder folgen dem Muttertier. Nach 30 Tagen werden die Tiere nicht mehr gesäugt und wandern ab oder schließen sich dem Rudel an. Nach weiteren 2–3 Monaten, wenn die Tiere zwischen 100–130 Gramm wiegen, sind sie geschlechtsreif, wobei sich nicht alle Weibchen alle Jahre an der Fortpflanzung beteiligen.
Die Populationsdichte variiert stark und hängt in menschlichen Behausungen vom verfügbaren Raumangebot ab. So kann ein Rudel aus bis zu 60 Hausratten bestehen, selten schließen sich jedoch mehr als aus 20 Individuen zu einer Gruppe zusammen. Auch in Wildpopulationen leben meist rund 5–18 Individuen pro Hektar. Die Zusammensetzung der Population wird von der der saisonalen Fortpflanzungsaktivität bestimmt. So dominieren in frei lebenden Populationen zwischen Januar und Juli adulte Hausratten. Im August steigt in der Gruppe der Anteil von Jungtieren bei gleichzeitigem Beginn des Sterbens der Tiere aus dem Vorjahr. Bis zum Herbst/Winter hat sich meist die gesamte Population erneuert.

Nahrung

Die Hausratte ist ein potentieller Allesfresser, ernährt sich jedoch vorwiegend von pflanzlicher Kost. Wenn es ihr möglich ist, bevorzugt sie Kohlenhydratquellen wie Getreide oder Trockenfrüchte. Tierische Nahrung besteht meist aus Schnecken und Insekten und wird bei alternativem Angebot nur als Beikost verzehrt. Als Allesfresser ist sie bei Nahrungsmangel in der Lage ihre Verdauung auf weitgehend tierische Nahrung umzustellen. Hausratten zeigen eine räumlich enge Bindung an ihre Nahrungsquellen mit geringer Bereitschaft zu langen Wegen zur Futtersuche. Moderne Kühlung, Lagerhaltung und dicke Verpackungen erschweren ihr heute die Zugänglichkeit zur Nahrung im städtischen Raum. Freilebende Hausratten der Mittelmeerregion fressen vorwiegend frische und trockene Früchte wie Eicheln und Edelkastanien sowie grüne Pflanzenteile (Knospen, Blätter, Blüten) und Baumrinde. In Gärten und Baumkulturen zeigt sie unter anderem eine Vorliebe für Tomaten-, Paprikapflanzen, Artischocken, Feigen und Granatäpfel.

Konkurrenz und Feinde

Ihre größte Konkurrentin ist die Wanderratte welche über einen kräftigeren Körperbau, eine höhere Nachkommenanzahl und eine bessere Anpassungsfähigkeit verfügt. Zudem kommt diese mit ihrer unterirdischen Lebensweise und der Besiedelung unserer Kanalsysteme besser mit dem kühlen Klima Europas zurecht. Fand die wärmeliebende Hausratte früher in menschlichen Behausungen Unterschlupf, erschweren ihr heute die modernen Betonbauten den Zugang. Gefährlich werden der Hausratte wie auch der Hausmaus (Mus musculus) die Hauskatze und die direkte Verfolgung durch den Menschen. Daneben werden sie häufig von Hunden, Hermelinen (Mustela erminea), Steinmardern (Martes foina) und Eulen, insbesondere von Waldkäuzen (Strix aluco), erbeutet .

Gefährdung und Schutz

Die räumliche Trennung von Wohnbereich und Tierhaltung hat die vorherrschenden hohen Populationsdichten des Mittelalters dezimiert. Auch die Bauweise hat sich geändert und anstelle von Holz wurden Steine und später Beton verwendet. Mit veränderter Vorratshaltung durch moderne Kühltechnik und Silolagerung sowie allgemein höheren Hygienestandards und Bauauflagen in lebensmittelverarbeitenden Betrieben verloren die Tiere entscheidende Nahrungsquellen. Trotz dieser Verluste war sie bis in die 50er Jahre des 20ten Jahrhunderts als »Dachratte« noch in vielen Gebäuden anzutreffen. Direkte Verfolgung mit verbesserten Bekämpfungsmethoden, wie der Einsatz von Antikoagulantien (blutgerinnungshemmende Gifte), führten jedoch schließlich zum Einbruch der Populationsdichte und zum beinahen Verschwinden der Art in Europa. Neben Gifteinsatz gehen heutige Vorkommen vor allem aufgrund des Rückgangs der traditionellen Landwirtschaft und durch die Sanierung von alten Gebäuden, insbesondere von Dachböden, verloren. Gleichzeitig wird sie in vielen Gebieten von der größeren, durchsetzungsstärkeren und anpassungsfähigeren Wanderratte verdrängt. Aufgrund ihres starken Rückgangs wird die Hausratte heute in vielen nationalen Roten Listen als vom Aussterben bedrohte Tierart geführt und genießt daher zumindest einen gewissen Schutzstatus.

Literatur
  • Jenrich, J., Löhr, P.-W., & Müller, F. (2010): Kleinsäuger: Körper- und Schädelmerkmale, Ökologie Reihe: Beiträge zur Naturkunde in Osthessen (Hrsg. Verein für Naturkunde in Osthessen e.V.). Michael Imhof Verlag, Fulda.
  • Grimmberger, E. (2014): Die Säugetiere Deutschlands. Quelle & Meyer, Wiebelsheim.
  • Grimmeberger, E., & Rudloff, K. (2009): Atlas der Säugetiere Europas, Nordafrikas und Vorderasiens. Natur und Tier-Verlags GmbH, Münster.
  • Müller, P. (2011): Wanderratte (Rattus norvegicus). In Die Säugetiere des Fürstentums Lichtenstein. (Mammalia). Hrsg.: R. d. F. Liechtenstein, S. 116-117. Amtlicher Lehrmittelverlag, Vaduz.
  • Mitchell-Jones, A. J., Amori, G., Bogdanowicz, W., Kryštufek, B., Reijnder, P. J. H., Spitzenberger, F., Stubbe, M., Thiessen, J. B. M., Vohralik, V., & Zima, J. (1999): The atlas of European Mammal. Academic Press, London.
  • Spitzenberger, F. (2001): Die Säugetierfauna Österreichs. Grüne Reihe des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Band 13. Austria Medien Service, Graz.
  • Wilhelm, P., & Dieterlen, F. (2005): Hausratte (Rattus rattus) (Linnaeus, 1758). In Die Säugetiere Baden-Württembergs. Hrsg.: Braun, M., and Dieterlen, F., S. 251-260. Ulmer: Stuttgart.
  • Becker, K. (1978): Rattus rattus (Linnaeus, 1758) – Hausratte. In Handbuch der Säugetiere Europas: Nagetiere I Hrsg.: J. Niethammer & F. Krapp, Band 1, S. 382-400. Akademische Verlagsgesellschaft: Wiesbaden.
  • Zamorano, E. & Palomo, J. J. (2007): Rattus rattus (Linnaeus, 1758). In: Atlas y Libro Rojo de los Mamíferos Terrestres de España  (Hrsg.: L. J. Palomo, J. Gisbert & J. C. Blanco). 455-457. Dirección General para la Biodiversidad – SECEM-SECEMU, Madrid.
  • Dean, K. R., Krauer, F., Walløe, L., Lingjærde, O. C., Bramanti, B., Stenseth, N. C. & Schmid, B. V. (2018): Human ectoparasites and the spread of plague in Europe during the Second Pandemic. PNAS 115(6): 1304–1309.

Autoren: Dr. Christine Resch & Dr. Stefan Resch
Zitiervorschlag: Resch, C. & Resch, S. (2023): kleinsaeuger.at – Internethandbuch über Kleinsäugerarten im mitteleuropäischen Raum: Körpermerkmale, Ökologie und Verbreitung. apodemus – Institut für Wildtierbiologie, Haus im Ennstal.

kleinsaeuger.at