Sciurus vulgaris

Eichhörnchen (Sciurus vulgaris)

Name: Sciurus vulgaris (Linnaeus, 1758); Eichhörnchen oder Eichkätzchen (D); Red squirrel (E)
Internationaler Schutz: Berner Konvention (Anhang III)
Größe: Kopf-Rumpf: 200–250 mm; Hinterfuß: 51–63 mm; Schwanz: 150-200 mm; Gewicht: 250-400 g
Fell: sehr variable Rückenfärbung von rot bis dunkelbraun (in hohen Lagen und im Winter meist dunkler), Bauch immer weiß
Augen/Ohren: Ohrpinsel von Herbst bis zum Frühjahr
Schwanz: lang und buschig
Verbreitung: in ganz Eurasien
Lebensraum: Misch- und Nadelwälder sowie Siedlungsraum
Lebenserwartung: bis zu 18 Jahre in Gefangenschaft, in der Natur meist nicht Älter als 3 Jahre
Ähnliche Arten: das grau bis graubraune Grauhörnchen (S. carolinesis) ist größer und besitzt zu keiner Jahreszeit einen Haarpinsel an den Ohren, der Bauch ist nie reinweiß sondern grau bis grauweiß, ein Vorkommen in der Schweiz, Deutschland und Österreich ist nicht bekannt
Systematik: Nagetiere (Rodentia) → Unterordnung: Hörnchenverwandte (Sciruromorpha) → Familie: Hörnchen (Sciuridae) → Unterfamilie: Erdhörnchen (Xerinae) 

Lebensraum

Das Eichhörnchen bewohnt Laub-, Misch- und Nadelwälder sowie besiedelte Gebiete. Entscheidend für sein Vorkommen sind energiereiche Baumsamen.Im Gegensatz zu den monotonen Buchen- und Fichtenforste bieten aus unterschiedlichen Arten zusammengesetzte Wälder mit natürlicher Altersstruktur ganzjährig ein ausreichendes Nahrungsangebot. Das Kronendach sollte zwar geschlossen sein, damit die Tiere über die Äste von Baum zu Baum gelangen, darf jedoch nicht zu dicht sein, damit Licht bis zum Boden fällt und ein Aufkommen einer Kraut- und Strauchschicht ermöglicht. Der dichte Unterwuchs bietet zusammen mit Totholz und liegenden Ästen dem Eichhörnchen ausreichend Schutz vor Fressfeinden wie dem Habicht. Wälder mit diesen Eigenschaften gelten als optimale Lebensräume des Eichhörnchens. Nach Bosch und Lurz (2011) sollten sie 4 -14 Hektar groß sein. Sie bilden die Basis, um angrenzende kleinere und weniger geeignete Habitate zu nutzen. Entlang von linienartige Verbindungsbiotope wie Baumreihen, Alleen, oder Heckenstreifen kann es dabei bis in Stadtzentren eindringen. Das durch den Menschen gebotene Zusatzfutter (auch in Form von Vogelfutter beim Futterhäuschen) ermöglicht es ihm hier Parkanlagen und gartenreiche Wohngebiete ganzjährig zu bewohnen. Nach Klausnitzer (1993) sind alte Baumstände, ein hoher Nadelbaumanteil, Gebüsche, Saumbiotope, Wildkräuter, wenig Versiegelung, Störungsfreiheit und ein hohes Flechtenvorkommen vorteilhaft für das Eichhörnchen.

Lebensweise

Aktivität und Fortbewegung: Das Eichhörnchen ist streng tagaktiv. Es erwacht in den Sommermonaten meist kurz vor Tagesanbruch, ruht zu Mittag im geschützten Kobel oder an einem anderen deckungsreichen Standort und setzt erst am Nachmittag seine Futtersuche fort. Im Herbst ist es besonders aktiv und nutzt den gesamten Tag, um Nahrungsvorräte anzulegen und Fettreserven für den Winter anzufressen. Nach Bosch und Lurz (2011) entfallen 60-90 % der aktiven Tätigkeit auf Suchen, Fressen oder Verstecken von Nahrung. Während der kalten Jahreszeiten sind seine Aktivitätsphasen hingegen deutlich kürzer und beschränken sich auf wenige Stunden zur Nahrungssuche. Im Gegensatz zu dem Europäisches Ziesel (Spermophilus citellus) hält es keinen Winterschlaf mit reduzierten Körperfunktionen. Zur kalten Jahreszeit wird seine Aktivität neben der Temperatur, Tageslänge und Witterung von der Entscheidung beeinflusst, ob eine Energieaufnahme durch aktive Nahrungssuche und Fressen dem Energiesparen durch Verbleiben im Kobel vorzuziehen ist (Gurnell 1987, Wauters und Dhont 1987). Als Baumbewohner können Eichhörnchen gut klettern, balancieren und springen. Neben ihrer dynamischen und schnellen Fortbewegung in der Höhe, sind sie auch gute Läufer und erreichen kurzeitig Geschwindigkeiten von 26 km/h (Bosch und Lurz 2011). Vor allem bei Gefahr kann es durch einen Sprung, welcher bis zu 2 m reichen kann, die Wegstrecke enorm verkürzen.

Territoriales Verhalten und Reviergröße: Eichhörnchen leben zwar einzeln, besitzen jedoch keine festen Territorien. Sein Aktionsraum überlappt sich mit anderen Individuen und die Größe variiert je nach Geschlecht, Lebensraum und Nahrungsverfügbarkeit. Münch (2005) führt eine Übersicht der ermittelten Streifgebietsgrößen aus mehreren Studien an: Diese schwanken zwischen 0,5 und 6,4 in Laubwälder und 4,4 und 17,6 ha in Mischwälder sowie 2,8 ha und 121,6 ha in Nadelwälder. Während der Fortpflanzungszeit sind die Reviere der Männchen größer und reproduzierende Weibchen verhalten sich aggressiv gegenüber weiblichen Artgenossen. Eichhörnchen bewegen sich auch außerhalb ihrer gewohnten Umgebung und erkunden fremde Gebiete entlang von Verbindungslinien (Bsp. Baum- oder Gebüschreihen). Nach Holm (2005) legen sie bei Nahrungsmangel Entfernungen von mehreren Kilometern an einem Tag zurück. Führt ein Mastjahr (viele Baumsamen) zu hoher Populationsdichten, kann es im folgenden Jahr aufgrund des mangelndem Nahrungsangebot zu Massenwanderungen kommen.

Kommunikation und Orientierung: Eichhörnchen kommunizieren überwiegend visuell: Körperhaltung, Kopfposition, Bewegungen der Ohren und des Schwanzes werden zur Übermittlung von Informationen eingesetzt. So schlägt das Eichhörnchen bei Verunsicherung den Schwanz seitlich, bei einer Störung hingegen auf und ab. Als Drohgebärde schlägt es nicht nur mit dem Schwanz, ein Trampeln der Füße auf dem Untergrund (Rindenklatschen) und akustischen Lautäußerungen (stoßartiges „Chuck-chuck“) sollen ebenfalls einschüchtern. Insgesamt ist sein Lautinventar vielfältig und reicht von Alarm- und Aggressionsrufen bis zu leiseren „Muck muck“ Tönen als Stimmungslaut freundlich gesinnter Tiere. Duftmarkierungen (Kot, Urin und Drüsensekrete) in den Baumkronen informieren über Habitatansprüche, soziale Position und Fortpflanzungsstatus eines Individuums. Die Orientierung des Eichhörnchens erfolgt vorwiegend optisch. Mit seinen großen, am Kopf seitlich-oben positionierten Augen kann es vor allem vertikale Objekte gut überblicken. Vibrissen (Tasthaare) u.a. an der Schnauze, an der Unterseite des Kopfes, an den Unterarmen und an der Schwanzbasis sind eine zusätzliche Hilfe beim Klettern mit denen es z. B. die Größe von Öffnung ertastet oder Abstände zwischen Körper und Stamm erkennt.

Bau: Das Eichhörnchen baut freistehende, stammnahe Zweignester (Kobel) in Bäumen und nutzt Baumhöhlen als Neststandorte. Der Kobel ist rundlich-kugelig geformt und besitzt nach Bosch und Lurz (2011) einen Durchmesser von rund 25–45 cm.  Der Kobel wird über ein altes Vogelnest oder bei einer Astgabel errichtet und besteht aus verwobenen Zweigen, Blättern, Gräsern, Moos und anderen Materialien aus der Umgebung. Der Innenraum ist nach Holm (2005) meist 15 cm groß und aus weichen Materialien wie Gras und Moos ausgepolstert. Die 1–2 Eingänge werden bei Anwesenheit verschlossen gehalten. Ein Eichhörnchen besitzt zwischen 3–5 Neststandorte in seinem Aktionsraum. Diese sind je nach Funktion unterschiedlich solide gebaut. So ist der Schlaf-, Wurf-, und Winterkobel meist enger verwoben und dicker ausgepolstert als die Kobel die während des Tages aufgesucht werden. Die wärmeisolierende Eigenschaft zeigt die Untersuchung von Pullianen (1973) in Lappland, bei welcher 20-30°C Temperaturunterschied zwischen Nest und Außentemperatur aufrechterhalten werden konnte. Werden die Kobel im Sommer meist einzeln genutzt, können in Kälteperioden 2–4 Individuen in einem Nest beobachtet werden. Weitere Neststandorte sind: umgefallene hohle Bäume, Erdhöhlen oder Sträucher sowie Nistkästen, Dachböden, Fensternischen und Maueröffnungen im Siedlungsraum (Bosch und Lurz 2011).

Fortpflanzung und Population

Die Paarungszeit des Eichhörnchens beginnt Ende Dezember/Anfang Jänner und endet mit den letzten Würfen im August. Während der Fortpflanzungszeit können häufig Verfolgungsjagden, in welchen sich die Tiere spiralförmig um die Stämme bewegen, beobachtet werden. Das Weibchen bestimmt dabei den Ablauf: Es legt unter anderem Pausen fest, wartet auf das Männchen oder weist es mitunter aggressiv zurück. Meist sind es mehrere Männchen die in Kontakt mit einem ausgewählten Weibchen bleiben. Sie versuchen den Zeitpunkt der Paarungsbereitschaft nicht zu verpassen und gleichgeschlechtliche Artgenossen auf Distanz zu halten. Nach 4 bis 10 Tagen ist das Werben beendet und das Weibchen paart sich mit einem oder mehreren Männchen. Das Weibchen ist 38 Tage trächtig bevor es 2–5 Jungtiere in einem besonders solide konstruierten Wurfnest bekommt. Mit 42 Tagen beginnen die Jungen ihr Nest zu verlassen, mit 50 Tagen unternehmen sie gemeinsam mit dem Muttertier kurze Ausflüge und mit 60–70 Tagen können Flucht- und Kampfspiele der Geschwister beobachtet werden. Eichhörnchen können noch im selben Jahr Geschlechtsreif werden. Als Fortpflanzungsvorrausetzungen müssen Weibchen jedoch ein Gewicht von über 300 g (Wauters und Dhondt 1989) besitzen damit sie in den Östrus (Brunft) kommen. Eine erfolgreiche Fortpflanzung der Weibchen ist demnach an eine gute körperliche Kondition gebunden und stellt sicher, dass fortpflanzungsfähige Tiere über ein ausreichendes Nahrungsangebot verfügen.
Eichhörnchen leben je nach Lebensraum und geographischer Region in unterschiedlich großen Populationsdichten. Da die Vermehrungsrate zudem an das Nahrungsangebot gebunden ist, beeinflussen Mastjahre (viele Baumsamen) und Mangeljahre die Populationsdichte erheblich und führen zu starken jährlichen Schwankungen. Die niedrigsten Dichten können in montanen Habitaten gefunden werden, die höchsten in reine Laubwälder. In Studien in Groß Britannien wurden Populationsdichten zwischen 0,3 und 1 Individuen pro Hektar festgestellt (Holm 2005). Bosch und Lurz 2011 zeigen in einer eine Übersicht der Populationsdichten für Eichhörnchen in verschiedenen Waldarten in Europas ein ähnliches Bild: 02,2– 1,1 I/ha in Laub- oder Mischwälder und 0-0,75 in Kiefernwäldern. Eine Ausnahme bildet lediglich ein Nadelwald in Schottland, wo bis zu 1,6 I/ha ermittelt wurden (Bryce et al. 2005).

Nahrung

Das Eichhörnchen ernährt sich vielfältig in Abhängigkeit vom räumlich- und saisonalen Angebot vorhandenen Nahrungsquellen. Hinsichtlich ihrer Ernährung zeigen sie sich nach Gurnell (1987) als Opportunisten und Generalisten, welche jede vorhandene und erreichbare Nahrung nutzen. Wenn es ihnen möglich ist verzehren sie bevorzugt energiereiche Baumsamen und -früchte, wie Fichten- und Kiefernsamen, Buchenecker, Eicheln, Hainbuchensamen, Ross- und Edelkastanien sowie Hasel- und Walnüsse. Knospen von Fichten und Tannen, Blüten, Gallen, und Baumrinde (Bast) ergänzen den Speiseplan. Als tierische Kost verzehrt das Eichhörnchen Raupen, adulte Insekten, Schnecken und gelegentlich Vogeleier. Pilze (Bsp. Steinpilz oder Maronenröhrling) spielen vor allem im Herbst eine wichtige Rolle und werden getrocknet auch als Vorrat angelegt. Um dem Nahrungsmangel im späten Winter und Frühjahr zu entgehen versteckt es Vorräte besonders energiereicher Nüsse und Eicheln. Im Siedlungsraum nutzt das Eichhörnchen auch Futterstellen und Abfälle aus Müllcontainer.

Gefährdung und Schutz

Da Eichhörnchen großen natürlichen Populationsschwankungen unterliegen, ist es ohne systematische, langjährige Beobachtungen schwer möglich Bestandtrends zu ermitteln. Wie bei den Bilchen wirkt sich der Rückgang an Verbindungsbiotopen wie Hecken und Baumreihen negativ auf den Habitatverbund aus. Andererseits ist anzunehmen, dass das Eichhörnchen vom Klimawandel profitieren wird. Denn der Trend in der Forstwirtschaft zu nachhaltigeren und standortgerechten Forstwälder mit höherem Laubanteil ist für das Eichhörnchen von Vorteil. In England und Italien stellt das aus Nordamerika eingeschleppte Grauhörnchen (Sciurus carolinensis) eine Gefährdung dar. Diese übertragen den für das Europäische Eichhörnchen tödlichen Parapox-Virus. Sie gefährden vor allem in England die durch jahrzehntelange Jagdtradition dezimierten Eichhörnchen-Bestände bei gleichzeitigem Lebensraumverlust. In Österreich, Deutschland und Schweiz ist kein Vorkommen des Grauhörnchens bekannt. Häufige Beobachtung vermeintlicher Grauhörnchen gehen meist auf die sehr variable Fellfarbe des Eichhörnchens zurück. Eine potentielle Zuwanderung des Grauhörnchens aus Norditalien wird kritisch gesehen und auch in der NETZ NATUR-Sendung des Schweizer Fernsehsenders SRF „Kampf ums Eichhörnchen“ vom 15.12.2011 relativiert.

Literatur
  • Burschel, P. & Huss, J. (1987): Grundriss des Waldbaus: Ein Leitfaden für Studium und Praxis. Parey, Berlin.
  • Bosch, S. & Lurz, P. W. W. (2011): Das Eichhörnchen. Westarp Wissenschaften, Hohenwarsleben.
  • Bryce, J.;  Cartmel, S. & Quine, C. (2005): Habitat use by red and grey squirrels: results of two recent studies and implications for magement – Forestry Commission Information Note 76. Forestry Commission, Edinburgh.
  • Gurnell, J. (1987): Natural history of squirrels. Blackwell Science Publications, Oxford.
  • Grimmberger, E. (2017): Die Säugetiere Mitteleuropas. Quelle & Meyer, Wiebelsheim.
  • Holm, J. (1989): The red squirrel. Shire Natural History Series. Shire Publications Ltd, Buckinghamshire.
  • Klausnitzer, B. (1993): Ökologie der Großstadtfauna. Fischer, Stuttgart.
  • Münch, S. (2005): Eichhörnchen Sciurus vulgaris Linnaeus, 1758. In: Die Säugetiere Baden-Württembergs.
  • M. Braun and F. Dieterlen (Hrsg.). Stuttgart, Ulmer. 153-166.
  • Pulliainen, E. (1973): Winter ecology of the red squirrel (Sciurus vulgaris L.) in northeastern Lapland. Annales Zoologici Fennici 10: 487-494.
  • Wauters, L. A. & Dhondt, A. A. (1987): Activity budget and foraging behaviour of the red squirrel (Sciurus vulgaris, Linnaeus, 1758) in a coniferous habitat. Zeitschrift für Säugetierkunde 52: 341-353.
  • Wauters, L. & Dhondt, A. A. (1989): Body weight, longevity and reproductive success in red squirrels (Sciurus vulgaris). The Journal of Animal Ecology: 637-651.

Autoren: Dr. Christine Resch & Dr. Stefan Resch
Zitiervorschlag: Resch, C. & Resch, S. (2023): kleinsaeuger.at – Internethandbuch über Kleinsäugerarten im mitteleuropäischen Raum: Körpermerkmale, Ökologie und Verbreitung. apodemus – Institut für Wildtierbiologie, Haus im Ennstal.