Sorex minutus

Zwergpitzmaus (Sorex minutus)

Name: Sorex minutus (Linnaeus, 1766); Zwergspitzmaus (D); Pygmy shrew (E)
Internationaler Schutz: Berner Konvention (Anhang III)
Größe: Kopf-Rumpf: 36–64 mm; Hinterfuß: 9,5–12 mm; Schwanz: 32–46 mm; Gewicht: 2–8 g.
Fell: brauner Rücken mit etwas helleren Flanken und grau-weißer Bauchunterseite, jedoch mit großer individueller Variation in Abhängigkeit vom Verbreitungsgebiet und Alter.
Augen/Ohren: winzige Augen und mit Haaren bedeckte Ohren.
Schwanz: lang (2/3 der Körperlänge) und dick, gleichmäßig behaart, im Alter zunehmend kahler.
Verbreitung: Eurasien von Portugal bis zum Baikalsee: Österreich, Deutschland und Schweiz: in allen geeigneten Biotopen vorkommend; Mehr Info: GeoMaus-Karte. Ihre Höhenverbreitung reicht vom Meeresniveau bis 2.260 m Höhe, wobei ihr Schwerpunkt in der sub- bis tiefmontanen Höhenstufe liegt.
Lebensraum: Vorzugsbiotop: feucht-kühle Lebensräume mit dichtem Pflanzenbewuchs; Reviergröße: 150–1.000 m²; Populationsdichte: 4–42 Individuen pro Hektar.
Lebenserwartung: 13–16 Monate, Wintersterblichkeit > 80 %, 50 % nicht älter als 7 Monate.
Ähnliche Arten: Junge Waldspitzmäuse (Sorex araneus) können aufgrund ihrer äußeren Merkmale leicht mit adulten Zwergspitzmäusen verwechselt werden. Adulte Wald- und Schabrackenspitzmäuse (S. coronatus) unterscheiden sich durch Größe (besonders Schwanz- und Hinterfußlänge) und Färbung von der Zwergspitzmaus. Die Gartenspitzmaus (Crocidura suaveolens) besitzt weiße Zähne, deutlich aus dem Fell ragende Ohren und Wimperhaare auf dem Schwanzende.
Systematik: Ordnung: Spitzmausartige (Soricomorpha) → Familie: Spitzmäuse (Soricidae) → Unterfamilie: Rotzahnspitzmäuse (Soricinae) → Stamm: Soricini → Gattung: Eigentliche Rotzahnspitzmäuse (Sorex) → Untergattung (Sorex)

Lebensraum

Die Zwergspitzmaus gilt als eine sehr anpassungsfähige (euryöke) Art, welche in feuchten, grasigen und strauchreichen Biotopen zu finden ist. Allen Lebensräumen gemeinsam ist ein Niederschlag von mindestends 600 mm im Jahr und dichter Pflanzenbewuchs. Dieser schafft ein feucht-kühles Mikroklima und bietet Deckung vor potenziellen Fressfeinden, was aufgrund fehlender unterirdischer Gänge nötig ist. Bevorzugt bewohnte sie Wiesen und Feuchtgebiete mit Schilf und Röhricht sowie Bruchwälder, wo sie für gewöhnlich hohe Bestandsdichten erreicht. Hier gelingt ihr eine erfolgreiche Besiedelung, da ihre Konkurrentin die Waldspitzmaus fehlt. Denn dieser größeren Spitzmaus fehlt auf den staunassen Böden der Regenwurm als wichtige Nahrungsgrundlage. Daneben ist die Zwergspitzmaus in unterwuchsreichen Laub- und Nadelwäldern sowie auf Uferflächen in Auenlandschaften zu finden. In subalpinen Höhenlagen ist sie häufig in Fichten-Lärchenwäldern zu beobachten. Oberhalb der Baumgrenze kann sie in Alpenrosenbeständen und auf Weiderasen angetroffen werden. Sie bewohnt auch vom Menschen beeinflusste Flächen wie Friedhöfe, Gärten und Parks.

Lebensweise

Aktivität und Fortbewegung: Die Zwergspitzmaus ist tag- und nachtaktiv, wobei ihre Hauptaktivitäten zwischen 8 – 10 Uhr morgens und 21 – 23 Uhr abends stattfinden. Innerhalb von 24 Stunden besitzt sie 12 Aktivitätsphasen von jeweils 72 Minuten. Kurze Phasen der Nahrungssuche und des Fressens werden von regelmäßigen Ruhephasen unterbrochen. Im Sommer ist sie mehr nachtaktiv als im Winter. Die erhöhte Tagaktivität hängt vermutlich mit dem Vorhandensein der schützenden Schneedecke während der kalten Jahreszeit zusammen. Rund die Hälfte ihrer Aktivitätszeit verweilt sie an der Oberfläche. Sie ist folglich häufiger am Boden anzutreffen als die Waldspitzmaus, welche nur 20 % ihrer Zeit außerhalb ihrer Erdbaue verbringt. Von allen heimischen Spitzmäusen besitzt sie die höchste Körpertemperatur (37°C bis 39°C). Dies bedingt zwar einen enormen Energieumsatz und Nahrungsbedarf (nach 2 – 3 Stunden ohne Nahrung verhungern Zwergspitzmäuse), hilft ihr aber Kälte zu tolerieren. So reicht ihr Verbreitungsgebiet in Sibirien bis zum Nordpolarmeer. Andererseits führt die hohe Stoffwechselrate zu einer kurzen Lebenserwartung von nur 13 – 16 Monaten und einer schlechten Hitzetoleranz. So steigt ihre Körpertemperatur von 38 °C bei einer Außentemperatur von 20 °C bereits auf 39 °C bei einer Umgebungstemperatur von 25 – 30 °C. Als weitere Anpassung an den Winter findet bei der Zwergspitzmaus wie bei der Wald- und Schabrackenspitzmaus aus ökonomischen Gründen eine Gewichtsreduktion (Winterdepression) wesentlicher Organe statt (= Dehnel`s Phänomen). Diese ist wie bei der Schabrackenspitzmaus weniger stark ausgepräg.
Die Zwergspitzmaus kann ausgezeichnet springen und klettern, wobei sie ihren Schwanz als Stütze und zum Balancieren verwendet. Im Gegensatz zur Waldspitzmaus gräbt sie keine Gänge und jagt ausschließlich an der Oberfläche, wo sie sich schneller und mit besserem Reaktionsvermögen als ihre Konkurrentin fortbewegt. Zudem verfügt sie über hervorragende Kletterfähigkeiten und konnte bereits in einer Höhe von 2,9 m beobachtet werden.

Territoriales Verhalten und Reviergröße: Die Zwergspitzmaus lebt territorial als Einzelgänger und verteidigt ihr Revier aggressiv gegenüber Artgenossen. Ihr Territorium markiert sie regelmäßig mit Urin und Kotbällchen. Außerhalb der Paarungszeit gelten die Tiere als unverträglich. Männchen sind zur Fortpflanzungszeit weniger territorial und unternehmen auf ihrer Suche nach paarungsbereiten Weibchen weite Wanderungen. Die Territorien sind doppelt so groß wie jene der Waldspitzmaus. Die Reviergröße ist je nach Lebensraumbeschaffenheit und Jahreszeit unterschiedlich. Kleine Territorien von rund 150 m² können vor allem in Graslandschaften beobachtet werden. Im Juni sinken die Reviergrößen, vermutlich aufgrund des besseren Nahrungsangebots, bevor sie im Herbst und Winter wieder deutlich wachsen. Allgemein liegt die Reviergröße zwischen 150 – 1.000 m².

Kommunikation und Orientierung: Die Zwergspitzmaus besitzt einen gut entwickelten Geruchs-, Hör- und Spürsinn. Zudem verfügt sie über 22 verschiedene Lautäußerungen, die von Wispern bis zu Kreischen reichen und unterschiedliche Stimmungen ausdrücken. Einige dieser Töne liegen im Ultraschallbereich und können vom Menschen nicht wahrgenommen werden. Im Gegensatz zur Waldspitzmaus trillert sie weder bei der Nahrungssuche noch beim Erkunden unbekannter Gebiete. Unter Zwergspitzmäuse finden fast ausschließlich harmlose Kämpfe mit Aggression- und Scharrlauten statt. Zum Ausdruck von besonderer Aggressivität schlägt sie, wie die Waldspitzmaus, ihren Schwanz von einer Seite zur anderen, Bissverletzungen sind aber selten zu beobachten. Pipslaute dienen als Zeichen der Unterwerfung. In der Regel versuchen sie Konflikte zu vermeiden. So stoßen aneinander treffende Individuen einen »Chit« Laut aus und gehen getrennte Wege. Daneben verwendet sie auch Sekrete der Anal- und Flankendrüsen zur Kommunikation mit Artgenossen.

Bau: Da die Zwergspitzmaus nicht gut graben kann, nutzt sie Baue anderer Kleinsäuger. Viel häufiger verlaufen ihre Gänge jedoch einfach nur oberflächlich im Moos oder Gras bzw. im Winter unter der Schneedecke. Ihr Nest legt sie in bodennahen Hohlräumen an. Im Vergleich zu anderen Spitzmausarten baut sie ihr kugelförmiges Nest mit Sorgfalt und aus verschiedenen pflanzlichen Materialien wie Laubblätter, Moos, dünne Zweige, morsches Holz und Nadeln. Winternester sind mit 500 cm³ – 3000 cm³ größer und werden geschützt unter einem Brett oder in einem Baumstumpf angelegt.

Fortpflanzung und Population

Die Fortpflanzungszeit von Zwergspitzmäusen dauert von April bis September. 3 Mal im Jahr werden nach einer Tragzeit von 25 Tagen 4 – 6 Junge geboren. Zur Geburt und Jungenaufzucht bauen weibliche Zwergspitzmäuse Nester, welche deutlich schwerer und größer sind als ihre gewöhnlichen Schlafnester. Weibchen können direkt nach der Geburt erneut begattet werden (Post-Partum-Östrus). Die Jungtiere gelten ab ihrem 21. Lebenstag als entwöhnt. Im Juni verlassen sie das Nest, wobei Individuen desselben Wurfs auch danach für einige Zeit in losen Beziehungen verweilen. So erfolgt zum Beispiel bis zum 45. – 50. Tag ein gegenseitiges Wärmen durch Körperkontakt. Die Geschlechtsreife tritt bei den meisten weiblichen Tieren erst im Folgejahr ein. Mit wenigen Ausnahmen (Bsp. in Polen) paaren sie sich das erste Mal nach dem Winter.
Die Populationsdichte von Zwergspitzmäusen ist meist geringer als die der Waldspitzmäuse und beträgt je nach Lebensraum: 4 – 11 Individuen in strauchreichen Dünenlandschaften, 5 – 30 bzw. 8 – 42 I/ha in Graslandschaften und 13 – 28 I/ha in Moorgebieten. Im Sommer und Herbst erreichen die Dichten ihr Maximum. Zudem wird vermutet, dass ihre Dichte in Abwesenheit der Waldspitzmaus höher ist. Adulte Tiere überleben den Winter in der Regel nicht, sodass sich am Ende des Jahres die Population nur aus Jungtieren des vorangegangenen Sommers zusammensetzt. Das Verhältnis von Weiblichen zu Männlichen Tieren ist ausgeglichen.

Nahrung

Ihr Nahrungsbedarf ist sehr hoch und beträgt das 1,25-fache ihres Körpergewichts, das entspricht ca. 9,7 – 13,0 kJ/g Körpergewicht bzw. mehr als 250 Beutetiere am Tag. Bei jungen Tieren ist dieser aufgrund ihrer höheren Agilität und Springfreudigkeit noch höher, sodass diese bis zu 160 % ihrer eigenen Körpermasse täglich verzehren müssen. Wie viel sie fressen muss, hängt auch vom spezifischen Energiegehalt ihrer Nahrung ab. So reicht es, wenn sie Ameisenpuppen im Ausmaß ihres eigenen Körpergewichts zu sich nimmt, bei Käfern benötigt sie bereits das 1,4-fache. Die Zwergspitzmaus jagt auf der Bodenoberfläche in der Streuschicht oder in bestehenden Gangsystemen anderer Kleinsäuger, wo sie sich von 3 – 6 Millimeter großen Beutetieren wie Käfern, Spinnen, Asseln, Wanzen, Milben, Weberknechten, Hundertfüßlern, Schmetterlingslarven und Ameisen ernährt. Im Gegensatz zur Waldspitzmaus erbeutet sie kaum Schnecken und Regenwürmer, auch der Anteil an pflanzlicher Nahrung ist geringer. Ansonsten ist sie sehr flexibel und das Nahrungsspektrum wird vorwiegend von der aktuellen Verfügbarkeit beeinflusst. So bildet zum Beispiel der Borkenkäfer (Ips typographus) bei einem Massenvorkommen häufig die Grundnahrung für Zwergspitzmäuse.

Konkurrenz und Feinde

Die Waldspitzmaus dominiert über die Zwergspitzmaus. Kommen beide im gleichen Habitat vor, versucht die kleinere Spitzmaus ihr aus dem Weg zu gehen, sodass Begegnungen in der Regel harmlos verlaufen. Durch unterschiedliche Lebensweisen verbunden mit entsprechenden Fertigkeiten, vermeiden sie direkte Konkurrenz. So lebt die Zwergspitzmaus oberirdisch, gräbt schlecht, aber klettert gut. Während die Waldspitzmaus unterirdisch lebt, gut gräbt, aber schlecht klettert. Bei gleichzeitigem Vorkommen ernährt sich zudem die Zwergspitzmaus überwiegend von Spinnen, Käfern und Asseln, die Waldspitzmaus vermehrt von Regenwürmern, Schnecken und Käfern.
Für die Schleiereule (Tyto alba) stellen Zwergspitzmäuse eine bedeutende Nahrungsgrundlage dar. Aber auch von Waldohreulen (Asio otus), Waldkäuzen (Strix aluco), Raufußkäuzen (Aegolius funereus), Turmfalken (Falco tinnunculus) und Bussarden (Buteo) werden sie häufig gefressen. Innerhalb der Säugetiere zählt sie zum Nahrungsspektrum des Europäischen Iltisses (Mustela putorius), der Wildkatze (Felis silvestris), des Mauswiesels (Mustela nivalis) und Rotfuchs (Vulpes vulpes).

Gefährdung und Schutz

Wie alle Spitzmäuse nimmt sie aufgrund ihrer insektenreichen Ernährung eine entscheidende Rolle im Ökosystem ein. Eine besondere Bedeutung hat sie hier in der Forstwirtschaft als Fressfeind des Borkenkäfers. Sie ist andererseits auch eine entscheidende Nahrungsgrundlage gefährdeter Eulenarten wie zum Beispiel der Schleiereule (Tyto alba). Die Zwergspitzmaus steht daher in vielen Ländern unter Schutz.

Literatur
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  • Wichmann, H. (1954): Kleinsäuger als Feinde des Buchdruckers, Ips typographus (Linné, 1758)(Coleoptera). Saugetierk. Mitt 2: 60-66.

Autoren: Dr. Christine Resch & Dr. Stefan Resch
Zitiervorschlag: Resch, C. & Resch, S. (2023): kleinsaeuger.at – Internethandbuch über Kleinsäugerarten im mitteleuropäischen Raum: Körpermerkmale, Ökologie und Verbreitung. apodemus – Institut für Wildtierbiologie, Haus im Ennstal.