Crocidura russula

Hausspitzmaus (Crocidura russula)

Name: Crocidura russula (Hermann, 1780); Hausspitzmaus (D); Greater white-toothed shrew (E)
Internationaler Schutz: Berner Konvention (Anhang III)
Größe: Kopf-Rumpf: 51–86 mm; Hinterfuß: 11–13,5 mm; Schwanz: 24–46 mm; Gewicht: 7–15 g.
Fell: Rücken: graubraun, mit zunehmendem Alter rotbraun; Bauch: hellgrau; Grenze zwischen Ober- und Unterseite fließend; Jungtiere: aschgrau.
Ohren: Ohren deutlich sichtbar aus dem Fell ragend.
Schwanz: Der Schwanz trägt abstehende Wimpernhaare.
Verbreitung: Paläarktische Region (West- und Mitteleuropa bis Nordafrika): Österreich: Vorarlberg (Rheintal); Deutschland: West- und Mitteldeutschland; Schweiz: im Flachland nördlich der Alpen; Mehr Info: GeoMaus-Karte. Ihre Höhenverbreitung liegt meist unter 800–1000 m, wobei Einzeltiere auch höher bis 1600 m vorkommen können und der höchste Nachweis aus 2000 m stammt.
Lebensraum: Je nach Region feuchte Wälder und offene Landschaften (Mittelmeerraum), Kulturlandschaften wie Waldränder, Brachland, Felder, Wiesen, Hecken in Siedlungsnähe (Mitteleuropa). Die Reviergröße beträgt zwischen 75–395 m². Populationsdichten liegen zwischen 77–100 Individuen pro Hektar.
Lebenserwartung: 1 Jahr; 45 % der Tiere überleben ihren ersten, 5 % ihren zweiten Winter; maximales Alter im Freiland 24–32 Monate, in Gefangenschaft 38 Monate.
Ähnliche Arten: Anhand der Fellfärbung alleine können Haus- und Gartenspitzmäuse (Crocidura suaveolens) nicht immer unterschieden werden. Im Allgemeinen besitzt das Rückenfell der Hausspitzmaus mehr Rotblondtöne mit dunklen, kastanienbraunen Nuancen. Zudem ist die Hausspitzmaus mit einem Gewicht von über 7 Gramm schwerer. Vor allem junge Hausspitzmäuse können mit adulten Gartenspitzmäusen verwechselt werden, sodass eine sichere Unterscheidung meist nur mit morphometrischen und genetischen Methoden möglich ist. Aber: Verbreitungsgebiete überschneiden sich kaum (Siehe: Verbreitung Gartenspitzmaus). Die Feldspitzmaus (Crocidura leucodon) kann anhand ihrer zweifarbigen Färbung mit deutlicher Grenze zwischen Ober- und Unterseite gut unterschieden werden.
Systematik: Ordnung: Spitzmausartige (Soricomorpha) → Familie: Spitzmäuse (Soricidae) → Unterfamilie: Weißzahnspitzmäuse (Crocidurinae) → Gattung: Weißzahnspitzmäuse (Crocidura)

Lebensraum

Die Hausspitzmaus bewohnt je nach Breitengrad und Meereshöhe unterschiedliche Lebensräume. In Mitteleuropa besiedelt sie in der Regel keine bewaldeten Habitate, sondern lebt in der Kulturlandschaft (Waldränder, Brachland, Felder, Wiesen und Hecken), wo sie warme und trockene Standorte bevorzugt. Wie ihr Name bereits vermuten lässt, ist sie hier häufig in der Nähe von Siedlungen anzutreffen, wo sie in Parks und Gärten sowie deckungsarmen Kies- und Ruderalfluren lebt. Dies gilt insbesondere für die Mittelgebirgslagen und innerhalb ihres nördlichen Verbreitungsareals, wo sie als Kulturfolger in Gebäuden, Steinhaufen, Holzstapeln und Komposthaufen zu finden ist. Vor allem im Winter wechselt zu diesen energetisch günstigen Standorten.

Lebensweise

Aktivität und Fortbewegung: Die Hausspitzmaus gilt als tag- und nachtaktiv, wobei 35 – 45 % ihrer Aktivitäten am Tag erfolgen und sich die Dauer ihrer Aktivitätsphasen im Winter und Sommer unterscheidet. In 24 Stunden legt sie eine Strecke von 208 – 1.074 m (im Mittel 568 m) innerhalb einer Fläche von 56 – 215 m² (im Mittel 102 m²) zurück. Ihr Aktionsraum wird auf 166 – 189 m² geschätzt. Pro Tag besitzt sie 9 – 17 Aktivitätsperioden, welche zwischen 1 – 222 (im Mittel 36) Minuten andauern und von 4 – 602 (im Mittel 74) Minuten langen Schlafphasen im Nest unterbrochen werden. Sie ist somit deutlich weniger aktiv als die Waldspitzmaus (Sorex araneus) und auch ihre Bewegung wirkt vergleichsweise langsam und weniger agil. Zudem ist ihre Körpertemperatur mit 34 Grad niedriger, was ihr an heißen Tagen zugutekommt. Besonders interessant ist ihre Anpassung an die Umgebungstemperatur: so beträgt ihre Körpertemperatur bei 0°C: 35,7°C; bei 25°C: 34,2°C und bei 37°C: 37,9 °C.

Tagesschlaflethargie (Tagesporpor): Der Energieverbrauch ist im Sommer mit 30 kJ pro Tag bei jungen bzw. mit 37 kJ/Tag bei adulten Tieren deutlich geringer als mit 50 kJ/Tag im Winter. Um diesen zu senken, können Hausspitzmäuse wie Feldspitzmäuse (Crocidura leucodon) bei kühler Witterung und Nahrungsmangel für mehrere Stunden auf kontrollierbare und reversible Art Körpertemperatur und Energiestoffwechsel reduzieren. Diese Tagesschlaflethargie ermöglicht ihr ein Überleben bei ungünstigen Bedingungen. Bereits Jungtiere im Alter von 4 Tagen können in Lethargie verfallen. Während des Torpor misst die Temperatur einer Hausspitzmaus nur 18 °C.

Territoriales Verhalten und Reviergröße: Die Reviergröße beträgt in Abhängigkeit zur Lebensraumbeschaffenheit 75 – 395 m² und ist im Sommer und Winter gleich groß. Sie nutzt dieses jedoch nicht gleichmäßig. So werden Plätze mit reichem Nahrungsangebot vermehrt aufgesucht. Sexuell aktive Weibchen und Männchen zeigen zwischen gleichgeschlechtlichen Artgenossen ein territoriales Verhalten. Weibliche Tiere versuchen so ihrem Nachwuchs ein Revier mit wenig Konkurrenz zur Verfügung zu stellen. Um innerartliche Konflikte bei hohen Populationsdichten zu vermeiden, gehen sich die Individuen räumlich und zeitlich aus dem Weg. Überlappungen der Aktionsräume und gemeinsame Nestnutzung lassen Hausspitzmäuse im Vergleich mit Rotzahnspitzmäusen weniger solitär und territorial lebend erscheinen. Dies zeigt vor allem die gleichzeitige Nutzung des Winternestes durch bis zu 7 Individuen. In Frankreich verbrachten 6 Hausspitzmäuse 84 % ihrer Ruhephasen im selben Winternest. Die Tiere müssen nicht miteinander verwandt sein, häufig bildet jedoch ein Muttertier mit seinen Jungen oder ein Paar eine Gruppe, in deren Nest solitär lebende Individuen einziehen.

Kommunikation und Orientierung: Der Riechsinn spielt eine entscheidende Rolle in der Beziehung zwischen den Artgenossen und in der Raumaufteilung. So können zum Beispiel adulte Männchen 70 verschiedene Duftmarkierungen setzen. Diese Spuren geben Auskunft über Geschlecht, sozialen Status und Reviergrenzen einzelner Individuen. Über die Lautäußerungen der Hausspitzmäuse ist wenig bekannt. Jungtiere verwenden ein leises Fiepen in rhythmischer Ruffolge (si-si-si) als Ausdruck des Verlassenseins. Zudem können Abwehrschreie von 11,4 kHz sowie Lautäußerungen bei Störungen der Lethargiephase beobachtet werden. Obwohl Ultraschalllaute von 20 – 46 kHz gemessen wurden, wird nicht angenommen, dass diese wie bei anderen Spitzmausarten zur Echopeilung dienen. Da sie schlecht sieht, nutzt sie vermutlich in erster Linie ihre Tasthaare zur Erkundung unbekannter Gebiete. Zudem scheint sie sich räumliche Gegebenheiten gut merken zu können und sich danach erfolgreich zu orientieren.

Bau: Die Hausspitzmaus gräbt Gänge, benutzt aber zum Teil auch Baue anderer Kleinsäuger. Ihr 8 – 13 cm großes Nest legt sie unterirdisch oder geschützt unter Kompost oder Steinen sowie in Gebäuden und Seggenbulten an. Es besteht aus Grashalmen und ist mit Blättern, Gras und Moos ausgepolstert. Es hat keinen klar erkennbaren Eingang, sondern kann an allen Stellen verlassen werden. Daneben besitzt sie Ruhenester, welche sie 2 – 6 mal am Tag aufsucht.

Fortpflanzung und Population

Die Fortpflanzung der Hausspitzmaus ähnelt jener der Gartenspitzmaus. Während der Fortpflanzungszeit von Februar bis Oktober bilden sich Paare, welche gegenüber fremden Artgenossen aggressiv auftreten. Die Weibchen wählen die Männchen nach den Eigenschaften ihrer Reviere aus. Männliche Tiere helfen beim Bau des Wurfnestes und bei der Jungenaufzucht. Die Anwesenheit des Männchens im Nest verbessert zudem die Thermoregulation und den Energiehaushalt des Nachwuchses. Hausspitzmäuse können in sozialer Hinsicht als monogam bezeichnet werden, zeigen aber in Abhängigkeit zur Populationsdichte und zum Geschlechterverhältnis eine Tendenz zur Polygynie. Ein Pärchen kann sich jederzeit auflösen und Männchen leben zur selben Zeit häufig in verschiedenen Partnerschaften. Durch diese »Untreue« erzeugen diese mit 5,2 Jungen mehr Nachwuchs als Weibchen mit einer Wurfzahl von 3,9. Bis zu 4 mal im Jahr kommen nach 28 – 33 Tagen 3 – 6 Jungtiere zur Welt. Wie bei der Gartenspitzmaus kann an warmen Standorten eine Wintervermehrung beobachtet werden. Auch wenn die Tiere klassische Nesthocker sind, so verfügen sie bereits bei der Geburt über ein ausgezeichnetes Spürsystem aus verschiedenen Tasthaaren. Bis zum 8. Tag transportiert das Weibchen ihren Nachwuchs im Maul, danach bilden sich sogenannte „Karawanen“. Wie bei der Garten– und Feldspitzmaus verbeißen sich dabei die Jungen in das Fell an der Schwanzbasis des vorangegangenen Tieres, sodass eine Marschreihe entsteht, welche von der Mutter angeführt wird. Ab dem 17. Tag nehmen die Jungtiere feste Nahrung zu sich. Auch nach der Entwöhnung (ab dem 20. Tag) verweilen sie im mütterlichen Nest. Mit zunehmender Selbstständigkeit wandern sie ab. Weibchen können direkt nach der Geburt erneut begattet werden (Post-Partum-Östrus). Mit Ausnahme spät geborener Jungtiere pflanzen sich 15 – 30 Prozent in Abhängigkeit von der Populationsdichte und den Umweltbedingungen noch im selben Sommer fort. 35,5 % der Jungtiere sind bereits vor ihrem ersten Winter sexuell aktiv.
Ab April steigt sie Anzahl der Jungtiere deutlich an. Ab den Sommermonaten sterben vermehrt Vorjahrestiere, sodass sich im Herbst die Population vollständig aus im selben Jahr geborenen Tieren zusammensetzt. Nach diesem herbstlichen Maximum sinkt die Populationsdichte, erreicht im Winter rund 100 Individuen pro Hektar und nimmt bis zum Frühjahr weiter ab. Meist schwankt ihre Anzahl zwischen 77 – 100 I/ha. Bei einer hohen Dichte kann sich die Empfangsbereitschaft des Weibchens verzögern. Das Verhältnis von weiblichen zu männlichen Hausspitzmäusen ist meist ausgeglichen.

Nahrung

Ihre bevorzugte Nahrung setzt sich aus wirbellosen Tieren wie Asseln, Weberknechte, Spinnen, Insekten, Schnecken und Regenwürmern zusammen. Ein Teil ist pflanzlich und besteht in Gebäuden aus Früchten, Haferflocken und Schokolade. Manchmal ernährt sie sich zusätzlich von Aas oder wenige Tage alten Mäusen. Experimente zeigten, dass die Hausspitzmaus ihre Beutetiere bis in eine Tiefe von 5 cm riechen kann. Im Vergleich mit den Rotzahnspitzmäusen und Wasserspitzmäusen ist ihr Stoffwechsel energetisch günstiger: Sie verzehrt pro Tag 48 % ihres Körpergewichts bzw. 3,4 kJ pro Gramm. Da bei ungünstiger Nahrungssituation eine Lethargie ausgelöst wird (siehe Aktivität und Fortbewegung), kann sie mehrere Tage ohne Nahrung überleben.

Konkurrenz und Feinde

Bei gleichzeitigem Vorkommen der Gartenspitzmaus findet eine Nischentrennung statt, wobei sich die ökologisch flexiblere Hausspitzmaus als anpassungsfähiger erweist. Das Verbreitungsgebiet der beiden Spitzmausarten überschneidet sich jedoch kaum (siehe Verbreitung). Gegenüber der Feldspitzmaus ist sie körperlich überlegen, weswegen diese Vorkommensgebiete der Hausspitzmaus meidet.
Vor allem für Vögel, insbesondere für die Schleiereule (Tyto alpa), sind Hausspitzmäuse wichtige Beutetiere. So stellen sie in Mittelmeerraum mehr als 50 % und in Mitteleuropa bis zu 10 % der Gesamtnahrung dieser Eulenart dar. Aber auch der Uhu (Bubo bubo), die Waldorheule (Asio otus), der Waldkauz (Strix aluco), der Steinkauz (Athene noctua) und der Turmfalke (Falco tinnunculus) ernähren sich von Hausspitzmäusen. Innerhalb der Säugetiere wird sie häufig von Rotfuchs (Vulpes vulpes) und Wiesel (Mustela nivalis) gefressen.

Literatur
  • Canalis, L. (2012): Säugetiere der Alpen: Der Bestimmungsführer für alle Arten. Haupt, Bern.
  • Churchfield, S. (2008): Greater white-toothed shrew (Crocidura russula). In: Mammals of the British Isles  (Hrsg.: S. Harris & D. W. Yalden). 280-283. The Mammal Society, Southampton.
  • Genoud, M., & Hutterer, R. (1990): Crocidura russula (Hermann, 1780) – Hausspitzmaus. In: Handbuch der Säugetiere Europas: Insektenfresser, Herrentiere (Hrsg.: J. Niethammer & F. Krapp). Band 3/1 429-452. Aula Verlag, Wiesbaden.
  • Genoud, M. (1995): Crocidura russula (Hermann, 1780). In: Die Säugetiere der Schweiz: Verbreitung, Biologie und Ökologie  (Hrsg.: J. Hausser). 49-53. Birkäuser Verlag, Basel.
  • Grimmberger, E. (2014): Die Säugetiere Deutschlands. Quelle & Meyer, Wiebelsheim.
  • Jenrich, J., Löhr, P.-W., & Müller, F. (2010): Kleinsäuger: Körper- und Schädelmerkmale, Ökologie. Beiträge zur Naturkunde in Osthessen (Hrsg. Verein für Naturkunde in Osthessen e.V.). Michael Imhof Verlag, Fulda.
  • Lugon-Moulin, N. (2003): Les musaraignes: Biologie, écologie, répartition en Suisse. Porte-Plumes Verlag, Ayer.
  • Mitchell-Jones, A. J., Amori, G., Bogdanowicz, W., Kryštufek, B., Reijnder, P. J. H., Spitzenberger, F., Stubbe, M., Thiessen, J. B. M., Vohralik, V., & Zima, J. (1999): The atlas of European Mammal. Academic Press, London.
  • Müller, J. P., Jenny, H., Lutz, M., Mühlethaler, E., & Briner, T. (2010): Die Säugetiere Graubündens: Eine Übersicht. Sammlung Bündner Naturmuseum und Desertina Verlag, Chur.
  • Spitzenberger, F. (2001): Die Säugetierfauna Österreichs. Grüne Reihe des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Band 13. Austria Medien Service, Graz.
  • Stefen, C. (2009): Hausspitzmaus Crocidura russula. In: Atlas der Säugetiere Thüringens (Hrsg.: M. Görner). 100-101. Arbeitsgruppe Artenschutz Thüringen e. V. und Landesjagdverband Thüringen e. V., Jena.
  • López-Fuster, J. (2007): Crocidura russula (Hermann, 1780). In: Atlas y Libro Rojo de los Mamíferos Terrestres de España  (Hrsg.: L. J. Palomo, J. Gisbert & J. C. Blanco). 128-130. Dirección General para la Biodiversidad – SECEM-SECEMU, Madrid.

Autoren: Dr. Christine Resch & Dr. Stefan Resch
Zitiervorschlag: Resch, C. & Resch, S. (2023): kleinsaeuger.at – Internethandbuch über Kleinsäugerarten im mitteleuropäischen Raum: Körpermerkmale, Ökologie und Verbreitung. apodemus – Institut für Wildtierbiologie, Haus im Ennstal.