Sicista betulina

Waldbirkenmaus (Sicista betulina)

Name: Sicista betulina (Pallas, 1779); Waldbirkenmaus (syn. Birkenmaus) (D); Northern birch mouse (E)
Größe: Kopf-Rumpf: 50–75 mm; Hinterfuß: 14–18 mm; Schwanz:  76–108 mm; Gewicht: 5–15 g
Fell: Oberseite: gelbgrau mit dunklen Grannenhaaren und am Rücken 2–3 mm breiter, schwarzer Strich; Unterseite: rein grau
Augen/Ohren: relativ große, spärlich behaarte Ohren
Schwanz: Stütz- und Haltefunktion, 120-130% der Körperlänge; Oberseite: wenige borstenartige Haare; Unterseite: dichter, kürzer und heller behaart
Lebensraum: Bergwälder, subalpine Wiesen und Hochmoore Aktionsraum: 0,4–1,3 Hektar; Populationsdichte: 25–30 Individuen pro Hektar im Hauptareal, an der westlichen Verbreitungsgrenzen wahrscheinlich geringer
Lebenserwartung: selten bis zu 40 Monate, jährliche Sterblichkeit bei 80%
Ähnliche Arten: Anhand ihrer Größe und des langen Schwanzes kann sie von der sonst ähnlich aussehenden Brandmaus (Apodemus agrarius) unterschieden werden. Die ähnlich große Zwergmaus (Micromys minutus) besitzt keinen Aalstrich entlang des Rückens. Schwieriger ist eine Unterscheidung von anderen Birkenmäusen (Sicista), wobei die Steppenbirkenmaus (Sicista subtilis) einen graueren Rücken besitzt und eine Abgrenzung zur Strands Birkenmaus (Sicista strandi) anhand äußerer Merkmale nicht möglich ist.
Systematik: Ordnung: Nagetiere (Rodentia) → Unterordnung: Mäuseverwandte (Myomorpha) → Überfamilie: Dipodoidea → Familie: Birkenmäuse (Sminthidae) → Gattung: Birkenmäuse (Sicista)

Bestimmungsmerkmale

Das auffälligste Merkmal der Birkenmaus ist ein 2–3 mm breiter schwarzer Strich, der entlang der Rückenmitte von der Kopfoberseite bis zum Schwanz verläuft. Der spärlich behaarte  Schwanz ist meist deutlich länger als der Körper (120–130 % der Körperlänge). Im Gegensatz zu echten Mäusen ist die Oberlippe der Birkenmaus nicht gespalten. Der Kopf wirkt insgesamt etwas spitzer als bei anderen Mäusen. Verwechslungsmöglichkeiten bestehen vor allem mit der Zwergmaus und der Brandmaus. Die ähnlich große Zwergmaus hat jedoch keinen Aalstrich und die Brandmaus ist größer wobei ihre Schwanzlänge jedoch unter der Körperlänge bleibt (ca. 75%), zudem sind die Augen und Ohren der Birkenmaus kleiner; die Augen befinden sie näher bei der Nasenspitze.

Lebensraum

Aufgrund der ausgedehnten Verbreitung mit einer Höhenamplitude zwischen Meeresniveau und 2010 m ist die Waldbirkenmaus in sehr unterschiedlichen Lebensraumtypen zu finden. Sie bevorzugt Waldrand- oder Mosaikstandorte mit hoher Bodenfeuchtigkeit sowie einer dichten Kraut- und Zwergstrauchvegetation. Im Tiefland bewohnt sie vornehmlich Seen- und Sumpfgebiete.

In den Bergregionen besiedelt sie bodenfeuchte Laub- und Mischwälder. Im Alpenraum ist die Waldbirkenmaus vermehrt oberhalb der Waldgrenze anzutreffen, wo sie Zwergstrauchheiden, Almwiesen oder Moore bewohnt.

Lebensweise

Die Waldbirkenmaus ist vor allem in der Dämmerung und Nacht aktiv, zeigt jedoch auch am Tag kurze Aktivitätsphasen. Innerhalb ihres Aktionsraums von 0,4 bis 1,3 Hektar bewegt sie sich sowohl am Boden als auch in Bodennähe und klettert geschickt durch Sträucher über weite Distanzen. Ihr langer Schwanz dient ihr dabei als Balancierhilfe. Eine weitere Anpassung an das Klettern ist ihre Fähigkeit, den fünften Zeh am Hinterfuß fast rechtwinklig abzuspreizen.

Dicht unter der Oberfläche legt sie 2 bis 3 cm große Erdröhren an, die durch ein Netzwerk aus Gängen in der Laub- und Streuschicht miteinander verbunden sind. Die Ausgänge dieser Röhren sind faustgroß erweitert und formen kleine Höhlen mit einem Durchmesser von etwa 7 cm. Neben den ein bis zwei Ausgängen bestehen die flachen Baue aus zwei Kammern.

Ihr rundes Nest baut die Waldbirkenmaus in natürlichen Strukturen wie hohlen Baumstämmen, zwischen liegendem Geäst, in trockenem Moos oder dichtem Gras. Es wird entweder direkt am Boden oder bis zu 1,5 m hoch in der Vegetation angelegt und besteht aus Rindenstücken, Gras und Moos. Der Durchmesser des Nestes beträgt zwischen 5 und 9 cm. Im Sommer nutzt sie zudem weitere Tagesschlafplätze in dichter Vegetation.

Für den Winterschlaf, der in unseren Breiten von Anfang Oktober bis Mitte April dauert und 6 bis 8 Monate umfasst, sucht sie sich ein größeres, gut isoliertes Nest oder frostfreie Erdbauten. Im August und September nimmt sie vermehrt Nahrung auf und erreicht ein Gewicht von etwa 13 g. Mit sinkenden Temperaturen unter 10 °C wird sie zunehmend träger. Während sie zuvor warme und trockene Umgebungen bevorzugte, wechselt sie nun zu kühleren und feuchteren Schlafplätzen, um einer Austrocknung vorzubeugen.

Während des Winterschlafs zehrt sie von ihren angefressenen Reserven und verliert bis zum Frühjahr etwa die Hälfte ihres Körpergewichts. Nach dem Erwachen verbringt sie viel Zeit mit der Nahrungssuche und legt nur wenige Ruhephasen ein. Im Sommer kann sie bei niedrigen Temperaturen erneut in eine Phase der Lethargie verfallen.

Fortpflanzung und Population

Birkenmäuse erreichen die Geschlechtsreife erst in ihrem zweiten Lebenssommer und sind nur einmal im Jahr (Mai bis Mitte Juni) fortpflanzungsbereit. Nach einer Tragzeit von 18–24 Tagen kommen zwischen 2–6 Jungtiere (der Durchschnitt aus verschiedenen Teilen ihres Areals liegt bei 4,94) Jungtiere zur Welt. Die maximale Lebenserwartung wird auf 40 Monate geschätzt, die jährliche Sterblichkeit ist jedoch sehr hoch (etwa 80 %) wodurch kaum Tiere dieses Alter erreichen. Die Jungtiere öffnen erst nach 27–28 Tagen die Augen und werden fünf Wochen lang gesäugt.

Nahrung

Die Birkenmaus ernährt sich sowohl von tierischer als auch pflanzlicher Kost. Dazu zählen Früchte, Sämereien, grüne Pflanzenteile und Beeren. Darüber hinaus zeigt sie sich geschickt bei der Jagd auf Insekten wie Heuschrecken, Käfer, Ameisen und Fliegen sowie deren Larven. Je nach Angebot beträgt der Anteil pflanzlicher Nahrung bis zu 50 % .

Konkurrenz und Feinde

Zu den natürlichen Feinden der Birkenmaus gehören Beutegreifer, Greifvögel und Eulen.

Gefährdung und Schutz

Lebensraumverlust durch Tourismus sowie land- und forstwirtschaftliche Tätigkeiten gefährden die häufig nur noch inselförmig verbreitete Waldbirkenmaus. Dies trifft besonders auf großflächige Nutzungsänderungen mit einhergehender Zerstörung der Pflanzendecke, Veränderung der Pflanzenartenzusammensetzung und des Grundwasserspiegels zu. Die Gefährdungssituation wird sich in den kommenden Jahren mit dem zu erwartenden Klimawandel verschärfen. So werden sich auch in den Alpen ihre bevorzugten Habitate rasch und stark verändern. Gebiete mit Vorkommen der Waldbirkenmaus bedürfen daher nach Meinig (2010) eines konsequenten Schutzes. Sie ist international durch die Berner Konvention (Anhang II) und durch die FFH-Richtlinie (Anhang IV) geschützt. In der Roten Liste Österreichs wird die Birkenmaus mit sehr geringem Bestand und sehr geringer Habitatverfügbarkeit sowie negativer Entwicklung der Habitatsituation als gefährdet, mit starker Verantwortlichkeit als Komponente der Schutzpriorität, genannt. In der Roten Liste Deutschlands wird sie als eine vom Aussterben bedrohte Art gelistet.

Literatur
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Broschüre: Die Broschüre Auf den Spuren der Birkenmaus stellt den seltenen Nager vor und gibt einen Überblich über seine Lebensräume. Zudem werden Gefährdungsursachen aufgezeigt und Schutzmöglichkeiten beschrieben. Das Heft ist als PDF-Datei kostenfrei im Internet auf apodemus.at verfügbar.

Autoren: Dr. Christine Resch & Dr. Stefan Resch
Zitiervorschlag: Resch, C. & Resch, S. (2023): kleinsaeuger.at – Internethandbuch über Kleinsäugerarten im mitteleuropäischen Raum: Körpermerkmale, Ökologie und Verbreitung. apodemus – Institut für Wildtierbiologie, Haus im Ennstal.